Das sind ja die Schwerpunkte, mit denen ich mich (neben den Erfordernissen des real existierenden Alltags im real existierenden Kapitalismus) befasse.
Und diese beiden Dinge passen irgendwie nicht gut zusammen. Schon personell gibt es wenig Überschneidungen, ich bin eine Ausnahme. Medizinkritiker sind oft in gesellschaftlichen Fragen sehr unterbelichtet und hängen gern mehr oder weniger abstrusen Verschwörungstheorien an. Bestenfalls reicht es für Geld/Zinskritik a la Gesell. Das verschwörungstheoretische Denken ist vielleicht besser nachvollziehbar (aber immer noch abzulehnen), wenn man weiß, wieviel in den Naturwissenschaften, vor allem im Zusammenhang mit der Medizin, unterdrückt und manipuliert wird. Auch die sog. Alternativen übernehmen sehr viele Irrtümer und Verbrechen der Schulmedizin, z.B. das Konzept der Infektionskrankheiten, welches auf den Müll der Geschichte gehört.
Der Wertkritiker wiederum weiß über die inneren Systemwidersprüche unserer Gesellschaft genau Bescheid und wäre m.E. derjenige, der die Medizinirrwege auch gut erklären könnte. Leider weiß er von denen aber sehr wenig. Es geht meistens nur um Verteilung des medizinischen Fortschritts, was allerdings im Bereich z.B. von Hilfsgeräten (Prothesen, Trainingsmaschinen usw.) durchaus auch seine Berechtigung hat. Aber die Wertkritik hat sich ja auf die Fahnen geschrieben, in Abgrenzung zum Traditionsmarxismus auch Kritik an grundsätzlichen Kategorien wie Geld und Ware zu üben. Da, kurz gesagt, die Produktion zum Zweck der Geldvermehrung erfolgt, liegen qualitative Mängel nahe, vor allem solche, die sich verschleiern lassen. Folglich liegt auch Manipulation auf der Hand.
In allgemeiner Hinsicht ist das der Wertkritik auch geläufig. So schrieb Robert Kurz vor einigen Jahren, man merke den Dingen (Erzeugnissen) immer deutlich an, für welchen Zweck sie hauptsächlich geschaffen wurden. Anselm Jappe meint sogar ganz keck, fast alles was heute produziert werde, sei Schrott.
Nur die Medizin scheint für viele ein Heiligtum zu sein. Ganz aussichtslos ist die Lage freilich nicht, so schrieb Peter Klein von den Streifzügen im Jahr 2009:
"Diese millionenfach verbreitete Mentalität überlässt sogar die Sorge für den eigenen Körper und das eigene Wohlbefinden, von den eigenen Kindern zu schweigen, den „dafür“ ausgebildeten Spezialisten, die es objektiv und damit besser wissen müssen."
(
Die Herrschaft der Beliebigkeit ) . Das Pikante daran ist, daß "Peter Klein" m.W. ein Pseudonym ist und der Mann im echten Leben Arzt ist (oder war).
Sehr Deutliches ist auch in einem Artikel von Marianne Gronemeyer (2006) auf den Seiten der Streifzüge zu lesen (ich zitiere in voller Länge, weil der Zusammenhang nicht verloren gehen sollte):
"Der Gesellschaft und der Natur schaden in diesem Sinn nicht nur die 220 Reichsten der Welt, die sich den halben Globus unter den Nagel gerissen haben, nicht nur die Tausende von Wissenschaftlern, die ihren Lebenssinn und ihren Ruhm darin suchen, fieberhaft die militärischen Vernichtungspotenziale zu raffinieren, auch nicht nur die , exzellenten Köpfe’ in den Biotechnologien, die die Menschen und alles, was sonst kreucht und fleucht und wächst und gedeiht, aller Kreatürlichkeit berauben und zum Rohstoff ihrer hybriden Konstruktionsabsichten machen wollen, und auch nicht nur die neuen Zyniker im großen Agrobusiness, die eine Apokalypse des Hungers vorbereiten, indem sie das Saatgut so manipulieren, dass es nach einer Ernte tot, also nicht mehr keimfähig ist und Jahr für Jahr neu gekauft werden muss bei diesen Herren der Erde.
Wohlgemerkt, sie alle stehen in hohem gesellschaftlichen Ansehen.
Schädigend sind jedoch auch die Betreiber jener Professionen, die nach wie vor auch moralisch einen guten Ruf genießen, die Repräsentanten der Dienstleistungsberufe, die heilenden, lehrenden und helfenden Berufe eingeschlossen, die sich schmeicheln, nichts als segensreich zu sein in ihrem Wirken, während sie in Wahrheit eine entmündigende “Expertenherrschaft” (Ivan Illich) aufrichten, die die Menschen der Verfügungsgewalt über ihre eigenen Belange vollständig beraubt. Ich muss mich nur in meiner eigenen Lebensgeschichte umsehen, um mich darüber zu entsetzen, wie viele von den Lebens- und Sterbensverrichtungen, die in meiner Kindheit noch ganz selbstverständlich in der Verfügung von jederfrau und jedermann waren – von der Reparatur der Dinge des täglichen Bedarfs über die Kurierung von Kinderkrankheiten bis zum Sterbebeistand -, heute in die Zuständigkeit von Experten und Expertinnen fallen, die sie als Dienstleistungsware feilbieten und jeden Versuch, davon keinen Gebrauch zu machen, nicht nur mit professioneller Strenge entmutigen, sondern sogar scharf sanktionieren.
Kurzum: Bei genauerem Hinsehen wird man feststellen, dass beinah alles, was heute berufsmäßig an Arbeit verrichtet wird, menschheitsschädigend ist, und zwar durch die Bank."
Quelle: Wenn uns die Arbeit ausgehtSchließlich ist auf den bereits genannten Anselm Jappe zu verweisen, der schon vor über 10 Jahren das wegweisende Werk
Gene, Werte, Bauernaufstände verfaßt hat. Es ist sicher kein Zufall, daß gerade dieses Werk innerhalb der Wertkritik auf Kritik stieß. In der Tat wird ein problematischer Punkt berührt, nämlich der des Naturalismuswahns. Viele Medizinkritiker sind naturverliebt, nicht selten mit Hang zur Esoterik. Auch das muß nicht alles falsch oder schlecht sein, aber da lauern Gefahren, das ist wohl jedem klar, der sich nur ein wenig mit Gesellschaftskritik beschäftigt. Wenn aber weder der "Fortschritt", noch der Kapitalismus noch "die Natur" als absolute Orientierungspunkte taugen, was eigentlich dann? Auch dazu hat Jappe etwas geschrieben, aber das muß auf einen späteren Blogeintrag vertagt werden.