Friday, May 18, 2007

Unser Bundespräsident

Wertes Publikum (vermutlich sehr überschaubar, gute Sache)!

Gar hartnäckig hält sich das Gerücht, daß Horst Köhler ein ausgezeichneter Bundespräsident sei, der unpopulistisch, unbeirrt von Zeitgeistströmungen, seinen Überzeugugen treu bleibt und seinen Weg geht. Tatsächlich hat er noch keine einzige Entscheidung getroffen, die geeignet gewesen wäre, ihn unbeliebt zu machen. Es scheint eine Verwechslung vorzuliegen: Köhler hat zwar viele unerwartete Entscheidungen getroffen bzw. Ansichten vertreten, jedoch keine unpopulären.
Allerdings würde auch der Vorwurf des Populismus an der Wahrheit knapp vorbeigehen.
Köhler hat nicht gegen seine Überzeugungen verstoßen, sondern ist eben als Kind des Zeitgeistes von der konservativen politischen Mehrheit, die ebenfalls aufgrund des herrschenden Zeitgeistes gewählt wurde, in sein hohes Amt eingesetzt worden.

Köhler echter als echt, bei Richling:
http://www.youtube.com/watch?v=LvmePAcLPD0
http://www.youtube.com/watch?v=A4BvrRii_9A

Anlaß meiner Kurzbetrachtung übrigens war eine Umfrage, derzufolge 80% aller Bundesbürger eine zweite Amtszeit von Herrn Köhler wünschen...

Gruß
J.

Monday, May 14, 2007

Faszination der Gewalt?

Es haben die Völker zu allen Zeiten
jede Schlacht um den Frieden verloren ...

singt Hannes Wader - ein Lied aus der Hochphase der Friedensbewegung.

Ich finde Gewalt an sich wenig faszinierend. Allerdings ist doch die Frage, ob es legitime Gewalt gibt, und unter welchen Umständen sie legitim ist. Diese Frage ist viel schwerer zu beantworten als mancher meinen mag. Da hilft auch der Hinweis auf das Gewaltmonopol des Staates nicht immer weiter, vor allem wenn der Staat dieses mißbraucht. Diese kritischen Fragen werden durch eine gründliche Auseinandersetzung mit dem sog. Terrorismus immer wieder neu beleuchtet und können wohl nie wirklich beantwortet werden.

Das wirklich Faszinierende am "Terrorismus" ist für mich aber weder die Gewalt noch die Frage nach der Legitimität von Gewalt, sondern die Motive der "Terroristen". Einige von ihnen mögen Schlägertypen sein oder gewesen sein, aber einige auch gewiß nicht: Was treibt letztere nun dazu, bis zu den äußersten Mitteln zu greifen, Gewalt gegen Menschen auszuüben und darüber hinaus auch sich selbst in die Gefahr zu begeben, jeden Augenblick ausgelöscht zu werden? Das sollten doch sehr starke Motive sein, und die interessieren mich.

Im großen und ganzen kann man wohl sagen, daß die RAF-Terroristen ziemlich gewaltgläubig waren. Viele sind es wohl heute noch, was keinesfalls bedeutet, daß sie ihre konkreten Taten von damals heute noch für richtig erachten. So schreibt Inge Viett z.B., daß sie sich damals schuldig gemacht habe, daß sich aber auch derjenige schuldig mache, der revolutionäre Gewalt für alle Zeiten ablehne: Dann würde der "marodierende Egoismus der Starken" niemals gebrochen werden. Und an anderer Stelle: "Es ist ja einfach klar, da die Brie-Gysi-Bisky-Konzeptionen teilweise märchenhafte Wunschgebilde sind, gebaut auf die Gutwilligkeit und Einsichtigkeit des Kapitals, welches diese Eigenschaften aber leider nicht hat (Gesellschaftsvertrag). Jedenfalls sind sie noch nie und nirgendwo gesichtet worden."
(Beide Zitate auf dem Buch "Einsprüche").

Und Karl-Heinz Dellwo, der die damaligen Taten vielleicht noch kritischer sieht, meint: Ich bin kein Pazifist, ich glaube nicht an die friedliche Veränderung der Welt. (Der Tagesspiegel, Interview 25.3.07)

Zur Überzeugung, daß das System ein imperialistisches sei, das in den Untergang führt, kommt demnach die (durchaus dazu passende) Überzeugung, daß es mit nichtmilitanten politischen Mitteln nicht aufzuhalten sei.

Das halte ich neutral fest...

J.

Thursday, May 10, 2007

Ensslin zur Pharma

Ein Zitar von ihr, ebenfalls aus dem Buch "Zieht den Trennungsstrich, jede Minute":

Der verdinglichte Mensch ist inzwischen schon gängiges Thema aller Soziologentagungen, die Bourgeoisie hat das längst spitz; die Chemie-Industrie ist so wichtig wie Rüstung (Psychopharmaka!).

In meinem nächsten Beitrag werde ich versuchen darzulegen, was mich am "Terrorismus" genannten Phänomen fasziniert.

Bis denne.

Wednesday, May 09, 2007

Und noch mehr Terror

Gudrun Ensslin hat seit ihrer Verhaftung 1972 etliche Briefe an ihre Schwester Christiane und ihren Bruder Gottfried geschrieben. Am Anfang durfte sie nur der Familie schreiben; wie ihre o.g. Geschwister meinen, diente diese Maßnahme auch dazu, sie auf ihre Familie (im Gegensatz zu ihrem "revolutionäres Umfeld") zurückzuwerfen, was Gudrun in übrigen genau erkannt habe.
Im Buch "Zieht den Trennungsstrich, jede Minute" sind die Briefe Gudruns aus den Jahren 1972 und 1973 dokumentiert. Die o.g. Geschwister haben ein Vorwort geschrieben, darin heißt es u.a.:

Obwohl unsere eigenen Briefe verschollen sind und sich ihr Inhalt nur in Gudruns Antworten reflektiert, wird in diesem politischen Dialog schnell ein Gefälle deutlich: Wir sind es, die von Gudrun agitiert werden. Diese Autorität akzeptierten wir, da wir zwar auch in "kleineren Zusammenhängen" aktiv waren, sie dagegen mehr politische Erfahrung und Praxis hatte und mit vollem Einsatz kämpfte.
Was die Briefe aus unserer Sicht auszeichnet, ist ihre begriffliche Schärfe und Veranschaulichungskraft, mit der Gudrun die marxistische Analyse der gesellschaftlichen Totaliät mit den Einzelheiten der erfahrenen Umgebung verknüpft und umgekehrt. So werden Knastalltag und Knaststruktur, Zweck und Wirkung der Behördenrepression, aktuelle Politik, aber auch Familienbiographisches präzise als Indizien beschrieben, die den gesellschaftlichen Gesamtzusammenhang sichtbar werden lassen.

Das Ergebnis dieser hellwachen Semantik ist, daß die alltäglichen Erfahrungen mit Bedeutung aufgeladen werden, was ein verändertes Lebensgefühl, einen Politisierungsschub bewirkt. Sie selbst nennt es den "24-Stunden-Fick". [...]
Buch bei Amazon

Tuesday, May 01, 2007

Na gut, weiter mit Terror

Ist ja wirklich "in", und wird immer "inner". Thema: Unterschiedliche Perspektiven. Zuerst ein Zitat von Alfred Mechtersheimer, der früher ja mal eine Nummer war (Friedensforscher, Friedensbewegter mit Kelly und Bastian), heute in Vergessenheit geraten.
Fassungslos sah ich die Studenten, die sich morgens an den Idealen der Aufklärung labten, nachmittags mit haßverzerrtem Gesicht über den Kudamm rennen. Zwar war ich als Stipendiat der Konrad-Adenauer-Stifutung und des Verteidigungsminteriums vor linken Versuchungen einigermaßen gefeit, aber diese persönlichen Erfahrungen mit humanitär begründeter linker Barbarei sind sicher dauerhaft prägend. http://www.mechtersheimer.de/gespraech.pdf

Einen völlig anderen Blick auf die über den Ku´damm rennenden Studenten hat Stefan Wisniewski, Ex-Terrorist der RAF. Zugegeben, es war 1974, also wohl einige Jahre später:

Ich stand also da in diesem Jugendzentrum [...] und hielt gerade eine Rede. In dem Moment kommt jemand rein und sagt: Der Holger ist tot. Mir - und nicht nur mir - sind die Tränen in die Augen geschossen. Einige, die sonst eher zu den Kritikern der RAF zählten, haben sofort angefangen Molotowcocktails zu basteln, sind zum Ku´damm los. Wenn die anfangen, die Gefangenen umzubringen oder verrecken zu lassen, dann muß was anderes geschehen, dachten wir. Alles was ich bis dahin in Bezug auf die Gefangenen politisch gemacht habe, war schlicht wirkungslos geworden. So konnte es nicht weitergehen. Die Beerdigung von Holger Meins mitzuorganisieren, war meine letzte legale politische Tätigkeit. Das war für mich das Überschreiten einer Schwelle.
Quelle: Buch "Wir waren so unheimlich konsequent" Stefan Wisniewski

Jürgen