Roswitha Scholz über unsere Familienministerin
Als Figur, die Barbie-Püppi, siebenfache Mutter, Alzheimerelternpflegerin und Karrierefrau mühelos in sich vereint, könnte sie einem Comic entsprungen sein.
Als Figur, die Barbie-Püppi, siebenfache Mutter, Alzheimerelternpflegerin und Karrierefrau mühelos in sich vereint, könnte sie einem Comic entsprungen sein.
Ich habe in der Diskussion (Kommentare) zum Eintrag "Arbeit") auf die Problematik nicht erst von "abstrakter" oder "entfremdeter" Arbeit, sondern des Arbeitsbegriffs überhaupt hingewiesen, da "Arbeit" nicht gleichbedeutend mit menschlichem Schaffen ist, sondern einen Begriff des kapitalistischen Systems (mit religiösen Wurzeln) darstellt. Es gibt hierzu einen wunderbaren Artikel von Robert Kurz (Die Diktatur der abstrakten Zeit). Hier heißt es u.a.:
So ist es kein Wunder, daß der Begriff der Arbeit in der Antike die metaphorische Nebenbedeutung von Leid und Unglück angenommen hat (etwa im Lateinischen). Es ist das Leid des Menschen, der in dem negativen Sinne tätig ist, daß er "unter einer Last schwankt" (laborare). Diese Last kann auch unsichtbar sein, weil sie in Wahrheit die soziale Last der Unselbständigkeit ist. Das ist auch letzten Endes gemeint, wenn im Alten Testament der Bibel die Arbeit als ein von Gott auferlegter Fluch des Menschen gedeutet wird. Die Gleichbedeutung von Leid und Arbeit meint nicht die bloße Anstrengung. Auch ein freier Mensch kann sich bei bestimmten Gelegenheiten anstrengen und sogar Lust dabei empfinden.
Es war das Christentum, das zuerst die negative Bedeutung der Abstraktion "Arbeit" positiv umdefiniert hat - und zwar paradoxerweise gerade als Leid und Unglück! Weil nämlich das Leid Christi am Kreuz die Menschheit von ihren irdischen Sünden erlöst hat, verlangt der Glaube daran die "Nachfolge Christi". Und das bedeutet, das Leid freudig und freiwillig auf sich zu nehmen. In einer Art von Masochismus des Glaubens an das positive Leiden adelte also das Christentum auch die Arbeit zum geradezu erstrebenswerten Ziel, etwa in demselben Sinn, wie es gelegentlich üblich war, sich in frommer Extase selber zu geißeln. Die Mönche und Nonnen in den Klöstern unterwarfen sich bewußt und freiwillig der Abstraktion "Arbeit", um als "Knechte Gottes" ein Leben im Sinne des Leids von Christus zu führen. Mentalitätsgeschichtlich waren, und darauf ist oft hingewiesen worden, die klösterliche Zucht und Ordnung, also die strenge Einteilung des Tagesablaufs und die mönchische Askese, Vorläufer der späteren Fabrikdisziplin und der abstrakten "betriebswirtschaftlichen" Zeitrechnung. Aber diese spezifisch christliche Mission der Arbeit bezog sich nur auf die metaphorische Bedeutung des Begriffs als religiöse Akzeptanz des Leids mit Blick auf das Jenseits; es wurde damit noch kein positiver irdischer Zweck verfolgt.
Es war erst der Protestantismus, besonders in seiner calvinistischen Form, der seit dem 16. Jahrhundert den christlichen Masochismus des Arbeits-Leidens zum diesseitigen Gegenstand machte: Der gläubige Mensch sollte die Schmerzen der Arbeit als "Knecht Gottes" nun nicht mehr in klösterlicher Abgeschiedenheit auf sich nehmen, sondern damit in der profanen irdischen Welt Erfolg haben, und zwar gerade um seine Auserwähltheit durch Gott zu beweisen und zu demonstrieren! Natürlich durfte er aber die Früchte des Erfolgs auf keinen Fall genießen, um die göttliche Gnade in der Nachfolge Christi nicht zu verspielen; er mußte also das Ergebnis der Arbeit mit säuerlicher Leidensmiene zum Ausgangspunkt immer neuer Arbeit machen und unaufhörlich abstrakte Reichtümer ohne Genuß aufhäufen. In dieser seltsamen Verschränkung eines tristen jenseitigen mit einem ebenso tristen diesseitigen Zweck entstand die erst recht triste moderne Arbeitsmentalität - Arbeit als eine Art Verhaltensstörung.
Damit die protestantische Verhaltensstörung ihren weltlichen Siegeszug antreten konnte, bedurfte es der Vermittlung mit mächtigen materiellen Interessen.Auch Warentausch und Handel sind für sich genommen keine ausreichende Erklärung:
Lokalen Warentausch hatte es ebenso wie Fernhandel mit speziellen Waren (Salz, Seide, Erze, Waffen usw.) in mehr oder minder großem Umfang schon seit frühesten Zeiten in den "Nischen" der agrarischen Naturalwirtschaft gegeben, ohne daß daraus jemals ein die gesamte Gesellschaft erfassendes "warenproduzierendes System" (alias Kapitalismus) entstanden wäre, in dem dann die Arbeit ihre seltsame Karriere als nunmehr substantielle Realität für alle Menschen fortsetzen und krönen konnte.
Es war jedoch keine Produktivkraft, sondern im Gegenteil eine durchschlagende Destruktivkraft, die der Modernisierung den Weg gebahnt hat: nämlich die Erfindung der Feuerwaffen. Obwohl dieser Zusammenhang seit langem bekannt ist, blieb er doch in den berühmtesten und folgenreichsten Theorien der Modernisierung (den Marxismus eingeschlossen) völlig unterbelichtet.
Aber diese Analysen haben nicht den großen Widerhall gefunden, den sie verdienen. Offensichtlich können die moderne westliche Welt und ihre Ideologen nur schwer die Einsicht akzeptieren, daß der letzte historische Grund ihres Systems in der Erfindung von perfektionierten Mordinstrumenten zu suchen ist. Und dieser Zusammenhang gilt nicht nur für die dunklen Ursprünge, sondern auch noch für die moderne Demokratie; denn die "militärische Revolution" ist bis heute ein heimlicher Beweggrund der Modernisierung geblieben.
Ich habe Claus Peter Ortlieb (Mathematikprofessor in Hamburg) bereits einmal zitiert. Hier ein aktuelles Zitat von ihm zum Thema Schule:
Dass Roland Koch mit seiner Kampagne im Wahlkampf schließlich keinerlei Erfolg hatte, sondern im Gegenteil Karriere knickende Stimmenverluste hinnehmen musste, dürfte nach allgemeiner Einschätzung damit zusammenhängen, dass er auf die falschen Ängste setzte. Die sich über das Gymnasium definierende deutsche Mittelschicht, deren Stimmen der CDU verloren gingen, hat andere: In einer selbst systemimmanent verrückten, allen lern- und entwicklungspsychologischen Erkenntnissen Hohn sprechenden Reaktion auf die alljährlichen „PISA-Schocks“ und die damit verbundene Konkurrenzangst wurde ihren Kindern das um ein Jahr verkürzte Gymnasium verordnet, bei gleich bleibenden Gesamtstundenzahlen und Stoffplänen. Die gleichen Lehrinhalte in weniger Zeit bzw., was dasselbe ist, mehr Lehrstoff pro Jahr oder Woche, verbunden womöglich mit einer Erhöhung von Klassenfrequenzen und Lehrerarbeitszeit, also mehr Schülern pro Lehrkraft: damit werden wir es den Finnen und Koreanern schon zeigen. „Billiger und besser“, dieses etwa von der Hamburger Schulsenatorin Alexandra Dinges-Dierig bei ihrem Amtsantritt verkündete Credo betriebswirtschaftlicher Effizienz soll auch das deutsche Schulsystem wieder auf Vordermann bringen.
Bloß funktioniert das nicht. Man könnte sagen: Dieser Versuch einer Durchorganisation des Gymnasiums nach den Grundsätzen des gewöhnlichen kapitalistischen Betriebs hat die Rechnung ohne die Wertabspaltung gemacht, die jeder Kapitalverwertung vorausgesetzt ist. Die von späterer gesellschaftlicher Überflüssigkeit bedrohten und mit einer aus Schulstunden und Hausaufgaben zusammengesetzten 40-50-stündigen Wochenarbeitszeit belasteten Kinder und Jugendlichen, denen jedes Refugium genommen ist, reagieren massenhaft mit Stress-Symptomen wie Magenbeschwerden, Kopfschmerzen und Schlafstörungen. Und die Mittelschichts-Familien, deren Funktion doch eigentlich darin besteht, für den Arbeitsstress dadurch wieder fit zu machen, dass er vor der Haustür bleibt, müssen ihn sich qua gemeinsamer Bewältigung der schulischen Anforderungen in die eigenen vier Wände holen.
Die darüber inzwischen auch in neoliberalen Organen wie dem SPIEGEL und der FAZ mehrfach vorgebrachte Klage über den „Diebstahl der Kindheit“ macht deutlich, dass systemimmanent nichts mehr geht: Einerseits resultiert die nur noch an betriebswirtschaftlichen Input-Output-Modellen orientierte Organisation des Bildungssystems aus der Angst vor dem Zurückfallen in der globalen kapitalistischen Konkurrenz. Auf der anderen Seite wird inzwischen die reale Gefahr gesehen, dass ebendieses System Absolventen hervorbringt, die – vom Burnout-Syndrom befallen, noch bevor sie es verlassen haben – als konkurrenzfähige Arbeitskräfte niemals zu gebrauchen sein werden.