Robert Kurz aktuell zur Finanzkrise
Der Einsatz steigt (im "Freitag") (zur Abwechslung ein etwas einfacherer Text)
Der Einsatz steigt (im "Freitag") (zur Abwechslung ein etwas einfacherer Text)
Es wird jetzt nicht einfacher...
Das Wertverhältnis als Abspaltungsverhältnis ist an sich schon eine in sich gespaltene, als Polarität gesetzte Identität. Die negative Identität bildet die Wurzel, aus der immer neue Spaltungen und damit Polaritäten erwachsen. [...]
Schon auf der Ebene des übergreifenden, geschlechtlich bestimmten Abspaltungsverhältnisses lassen sich eine Reihe von solchen Polaritäten erkennen:
Subjekt - Objekt
Männlichkeit - Weiblichkeit
Öffentlichkeit - Privatheit
Dieses System feindlicher Polaritäten setzt sich fort auf dem Boden des andozentrisch definierten Wertverhältnisses selbst, also innerhalb des abstrakten Universalismus von Freiheit und Gleichheit:
Politik - Ökonomie
Staat - Markt
Macht - Geld
Planung - Konkurrenz
Arbeit - Kapital
Theorie - Praxis
Bekanntlich hat sich die gesamte Modernisierungsgeschichte des Werts im engeren (politisch-ökonomischen) Sinne als permanenter Kampf dieser Polaritäten bewegt. "Markt oder Staat?", dieser Evergreen bürgerlicher Scheinalternativen im Gehäuse der Wertform, die doch immer nur die unheilbare Schizo-Struktur dieser ihrer selbst nicht bewussten Gesellschaft darstellen, wird auch heute noch unverdrossen abgeleiert. Wie die Wertkritik jenseits des bloß immanenten Klassenkampfs von Lohnarbeit und Kapital agieren muß, so auch jenseits des ewigen Tauziehens zwischen Markt und Staat. Gegenstand der Kritik kann nur das gemeinsame Bezugssystem des Werts selbst sein, eben jenes übergeordnete Wert-Abspaltungsverhältnis, das die Gegensätze von Arbeit und Kapital, von Markt und Staat usw. überhaupt erst aus sich heraus gesetzt hat und deren negative Identität bildet.
Der Gegensatz von Aufklärung und Gegenaufklärung, Moderne und Gegenmoderne gehört derselben Klassifizierung von immanenten Polaritäten des Wert-Abspaltungsvberhältnisses an. Nimmt man nicht bloß das basale Abspaltungsverhältnis für sich und das Wertverhältnis für sich in den Blick, sondern das übergreifende, in sich gebrochene Gesamtverhältnis der negativen Identität, so lassen sich eine ganze Reihe weiterer Polaritäten erkennen, die gerade auf die Schizo-Struktur der Aufklärung als Reflexionsform des Werts verweisen:
Fortschritt - Reaktion
Vernunft (Rationalität) - Irrationalität
Zivilisation - Barbarei
Kultur - Natur
Freiheit - Knechtschaft
Demokratie - Diktatur
Individuum - Gesellschaft
Gleichheit - Differenz
Gesellschaft - Gemeinschaft
Es gibt eine Fülle von Bezügen, in denen sich die fendlichen Polaritäten auf verschiedenen Ebenen bewegen, von Ebene zu Ebene springen, sich wechselseitig durchdringen und nur in dieser dynamisierten Gegensätzlichkeit das negative Ganze ausmachen. So bildet nicht nur der Gegensatz von Subjekt und Objekt, von (identitätslogischer) Männlichkeit und (abgespaltener) Weiblichkeit oder von Markt und Staat die Bewegungs- und Existenzform des Wert-Abspaltungsverhältnisses, sondern eben auch der Gegensatz von Aufklärung und Gegenaufklärug, von Modern und Gegenmoderne. Dieser Gegensatz ist die Moderne der Wertvergesellschaftung, die als immer schon gespaltene und negative gar nicht zu einer positiven, in sich ruhenden Identität gelangen kann. Weit davon entfernt, ein vor- oder außermodernes Bewusstsein darzustellen, sind Gegenaufklärung und Gegenmoderne integrale Bestandteile von Aufklärung und Moderne selbst, die nur in der Polarität zu ihrer eigenen immanenten Negation überhaupt existieren kann.
Dies läßt sich auch historisch-empirisch zeigen. Die Gegenaufklärungs ist aus der Aufklärung selber hervorgegangen, nicht als bloß äußere Gegenreaktion, sondern gewissermaßen wie Athene aus dem Haupt des Zeus. Bei den gegenaufklärerischen und "antimodernen" Ideen, wie sie sich in der romantisch-existentialistischen Geistesgeschichte niedergeschlagen haben und in politischen Ausdrucksformen wirkmächtig geworden sind, handelt es sich usprünglich um Gedanken der Aufklärung selber in ihrer originären aporetischen Struktur. Das gilt nicht nur für Antisemitismus und Rassismus, sondern auch für Nationalismus, Biologismus, Autoritarismus, Irrationalismus als Kehrseite der wertförmig konstituierten Vernunft usw. [...]
Und das Umschlagen von Fortschritt in Reaktion, von Vernunft in Irrationalität, von Demokratie in Diktatur usw. hat die gesamte Modernisierungsgeschichte begleitet; nicht etwa als bloße "Wechsellagen" im Machtkampf von einander äußerlichen Kräften, sondern als Erscheinung der negativen Identität, das heißt als Erscheinung des Reaktionären am Fortschritt selbst (etwa in der Weiterentwicklung des bürokratischen Apparats des Absolutismus durch die französische Revolution, worauf schon Tocqueville hingewiesen hat), des Irrationalen an der Vernunft selbst (etwa in der Externalisierungslogik der Betriebswirtschaft, im Umschlagen der ökonomischen Konkurrenz in Krieg usw.), des Diktatorischen an der Demokratie selbst (etwa im Vollzug von "Nostandsgesetzen", in der Behandlung von Flüchtlingen und Sozialhilfeempfängern, in der bürokratischen Menschenverwaltung überhaupt, bis hin zu den heutigen [2004] antisozialen Gegenreformen). Rein phänomenologisch betrachtet wurde dieses Umschlagen immer wieder bemerkt und skandaliert, aber eben nie auf den Begriff gebracht, weil sonst der faule Zauber des immanenten Gegensatzes nicht mehr als paradoxe Selbstrechtfertigung der Aufklärung hätte funktionieren können.
Superschwieriges Kapitel, in dem es um den Kern geht: Die innere Identität von Aufklärung und Gegenaufklärung. Ob Robert Kurz damit durchkommt, kann ich noch gar nicht sagen, bereits in früheren Blogeinträgen habe ich einige Einwände von Anselm Jappe vorgestellt. Diese sind schon älter, tatsächlich geht Robert Kurz auf diese in seinem Buch auch ein. Nun erstmal einige Abschnitte mit Beispielen, weil man sonst überhaupt nichts versteht (glaube ich).
Auch der Nationalsozialismus als vermeintliche Inkarnation alles reaktionären, gegenaufklärerischen Denkens war in Wirklichkeit gleichzeitig die deutsche Form des fordistischen Schubs (Erläuterung Fordismus) in der globalen Wertvergesellschaftung. Die Nazis modernisierten in diesem Sinne die Industrie, den Krieg, das Geschlechterverhältnis, den Konsum und das Subjekt. Die NS-Formierung Deutschlands bildete auf allen gesellschaftlichen Ebenen den Prototyp der demokratisch-ökonomistischen deutschen Nachkriegsgesellschaft; bis zur Lächerlichkeit deutlich im "Volkswagen", aber eben auch in der weiteren Entwicklung der kapitalistischen Subjektform. Gerade der Kern der NS-Ideologie, der Antisemitismus, ist ein spezifisches Produkt der Moderne und ihrer Aufklärung, das in jedem Krisenschub der "Modernisierung" abgerufen wurde. [...]
Wenn die negative Identität von Fortschritt und Reaktion, von Aufklärung und Gegenaufklärung am Ende des 20. Jahrhunderts zu einer unmittelbaren wird, so in erster Linie deswegen, weil jetzt die innere Dynamik der Wertvergesellschaft ausgebrannt ist. Die einst bitter feindlichen Polaritäten fallen im Krisensturz zusammen, und zwar auf allen Ebenen. Der Markt übernimmt in Gestalt von Konzern-Organisationen immer mehr Staatsfunktionen; die Staatsapparate umgekehrt werden als Quasi-Profitunternehmen immer stärker marktwirtschaftlich ausgerichtet. [...]
In Deutschland zeigt sich zum Beispiel die zunehmende unmittelbare Identität von Aufklärung und Gegenaufklärung spezifisch an der geistes- und publikationspolitischen Entwicklung der "Suhrkamp-Kultur". Dieser Verlag, der in der Nachkriegsgeschichte geradezu symbolisch für eine linksbürgerlich-aufklärerische intellektuelle Offensive im "republikanischen" Widerspruch zur antimodern-gegenaufklärerischen Hypothek der deutschen Geschichte stand, beherbergt heute Haus- und Starautoren wie Martin Walser, Botho Strauß und Peter Sloterddijk [...], die jene intellektuelle Wende repräsentieren, in der inzwischen ganz ungeniert und wortmächtig Auschwitz relativiert, reaktionäre Kulturkritik im Stil einer Elogie von "Thron und Altar" betrieben und biologistisch die "Menschenzüchtung" erörtert wird.
Diese Wende stellt keinen "Verrat an der Aufklärung dar", sondern die Entpuppung der Aufklärung selber in der neuen Weltkrise der Wert- und Abspaltungsgesellschaft. Deshalb handelt es sich nicht um ein abermals spezifisch deutsches Phänomen, sondern um die Richtung des intellektuellen Mainstreams in der gesamten westlichen Welt. Das System von "freedom und democracy" führt seinen Weltkrieg gegen die von ihm selbst hervorgebrachten Terror-Gespenster im Namen eines kulturalistischen Rassismus (Huntington, Fukuyama & Co.), angeführt von einer Figur wie Präsident Bush, der das Zusammenfallen von Aufklärung und Gegenaufklärung geradezu verkörpert.
Beide von Kai Degenhardt, bzw. zumindest von diesem besungen:
Und nach der großen Seuche
und zwei oder drei Havarien
da wollten selbst die Wildesten
wieder ganz viele Kinder kriegen,
und ich, ich brach zusammen
mit dem Kellerregal...
(Damals als ich älter war, CD "Dekoholic", 2000)
Komm herein meine Schwester,
häng deinen albernen Hut an die Wand,
leg das Tamburin weg,
ich füll dir dein Glas auch bis zum Rand.
Ich seh dir an, daß du jetzt schon seit vielen Tagen
nicht mehr schläfst und ißt
und daß du nicht nur tief gefallen,
sondern auch schon heftig aufgeschlagen bist.
(Lied für meine Schwester, CD "Dekoholic", 2000)
Mir gefällt es meistens, wenn alte Politbarden mal eine ganz und gar persönliche Geschichte einstreuen.
eine nette geschichte
(Bernd Köhler)
rote haare, vom wind zerzaust
ich hab dich am Strand gesehn
in deinem pinkfarbenen sommerkleid
und es war um mich geschehn
ein wort gab das andre, ich lud dich ein
auf eine tasse kaffee
herbstwind blies blumen zum fenster hinaus
es war sommer und regnete schnee
he was ist los mit mir
es ist vollkommen verrückt -
ich rede und höre und bin von dir
hinweg und verzückt
tretmühlenalltag, verlorene zeit
die uhr steht still, ich will
ganz einfach nur sitzen hier mit dir
ohne sinn, ohne zweck, ohne ziel
dann sagst du, du musst jetzt gehn
du hause warte ein kind
und plötzlich merke ich, dass märchen oft
ganz schön realistisch sind
he was ist los mit mir...
ich habe sie noch nach hause gebracht
nahm sie auch bei der hand
und wünschte sie wohne am ende der welt
redete mich fast um den verstand
der himmel zog zu, es bogen sich
die leuchtstoffröhren im wind
ein kuss, adieu, merci, salü
eben wie solche szenen sind
Welch tröstlicher Schluß! Das Interview von telepolis.de mit Robert Kurz endet mit dessen Worten:
Aber die Dynamik des Krisenprozesses ist nicht mehr auf ein früheres Niveau zurückzudrehen, wenn nicht neue reale Verwertungspotentiale entstehen, die nirgends in Sicht sind. Jede temporäre Stabilisierung kann nur den nächsten, umso heftigeren Krisenschub vorbereiten. Erforderlich wäre eine autonome soziale Gegenbewegung jenseits des nationalen Rahmens, die sich die Lebensinteressen nicht von den Krisenverwaltern ausreden lässt, und die jede soziale, geschlechtliche, ethnische oder „rassische“ Ausgrenzung radikal negiert. Die ist aber ebensowenig in Sicht wie neue Verwertungspotentiale. Also kann man nur sagen, dass sich die gesellschaftliche Desintegration auch in den kapitalistischen Zentren einschließlich der „unschuldigen“ BRD in einem bisher nicht vorstellbaren Maße fortsetzen wird.
Die Tränen des Moderators
...leer´ am Abend meinen Kasten, steck die Silberlinge ein,
In diesem Abschnitt geht es um die anfangs bereits angesprochene Frage, warum Aufklärungskritik so wenige Freunde hat.
Verschiedene Aspekte einer emanzipatorischen radikalen Kritik der Aufklärung sind zwar immer wieder aufgetaucht, aber nie konsequent zu Ende gedacht worden, meistens nur bruchstückhaft oder (wie bei Adorno)im entscheidenden Moment wieder auf die vom Wert gesetzte Subjektform zurückbiegend, das mißverstandene Ideal gegen die Wirklichkeit einklagend etc. Der Grund dafür läßt sich leicht erklären: Es ist die Tatsache, daß gegen Aufklärung und Moderne immer schon "Gegenaufklärung" und "Antimoderne" von einem rechten, reaktionären, elite-ideologischen, irrationalen, rassistisch-antisemitischen usw. Herrenmenschen-Standpunkt aus geltend gemacht werden. Das emanzipatorische Denken fällt also immer wieder auf die Aufklärung herein und auf deren Essentials zurück, weil es sich davor fürchtet, auf der "falschen Seite" zu landen oder entsprechend gedeutet zu werden. Wer will im Namen der Emanzipation schon "zurück ins finstere Mittelalter" (oder gleich in die Steinzeit), wer will schon Reaktionär geschimpft werden oder in den Geruch kommen, den westlichen Universalismus mit ethnischen "Differenzen" oder Rassenkunde und der abstrakten Individualität mit dumpfer Hordengemeinschaft begegnen zu wollen?
Genau diese Furcht verhindert stets den entscheidenden Durchbruch gegen die Aufklärungsideologie und stellt das kritische Denken still, sobald es diese Demarkationslinie der bürgerlichen Ontologie zu überschreiten droht. Es ist insoweit eine berechtigte Furcht, als die Motive konservativer Kulturkritik und eines reaktionären "Antikapitalismus" immer wieder als Interferenzen bis in die aufklärerische Linke hinein erscheinen; es gibt ideologische Wanderungsbewegungen von links nach rechts und umgekehrt, sodaß es zu den Evergreens innerlinker Polemik gehört, sich gegenseitig als Reaktionäre oder als bürgerliche Aufklärer zu denunzieren, ohne die gemeinsame Wurzel dieses Gegensatzes offen zu legen.