In wertabspaltungskritischen Kreisen gilt der sog. "Realsozialimus" der UDSSR usw. als nachholende Modernisierung in einer Art "staatskapitalistischem" Rahmen. So weit, so gut, aber es bleibt doch die Frage, wie man Sozialismus mit nachholender (bürgerlicher) Modernisierung einfach so verwechseln kann. Bietet das bereits 1992 erschienene Buch von Peter Klein hier Hinweise? Durchaus, auch wenn vielleicht nicht alle Fragen beantwortet werden, bzw. einige Antworten u.a. durch neue Krisenentwicklungen schon wieder wacklig geworden sind.
Dieses Buch zur Oktoberrevolution gründet sich auf Artikel, die bereits 1987 und 1988 geschrieben wurden. Dazwischen lag also der reale Zusammenbruch des sog. Realsozialismus. Dieser Zusammenbruch ließ auch viele Linke zusammenbrechen, wie z.B. einer der bekanntesten "Bauchlinken", Hannes Wader, heute noch offen bekennt. Einen gestandenen Wertkritiker hat das natürlich nicht im geringsten anzufechten. So schreibt Klein denn auch am Ende des Vorworts (Sept. 1991), daß er die Texte in dieser und jener Hinsicht überarbeitet habe,
"Eine Aktualisierung im Hinblick auf die seit 1989 abgelaufenen Ereignisse hielt ich dagegen nicht für erforderlich."Den Inhalt des Buches mal eben wiederzugeben, ist nicht möglich. Aber worin bestand im Kern die Illusion der Oktoberrevolution? Eben darum, sie für eine sozialistische Revolution und sie als solche für erfolgversprechend zu halten. In Wahrheit handele es sich um eine bürgerliche Revolution - für Freiheit und Gleichheit (in rechtlicher Hinsicht) -, und als solche sei sie tatsächlich begründet und erfolgreich gewesen. Aber wie schon eingangs angesprochen, warum war das nicht ohne weiteres erkennbar? Dafür werden im Buch eine Reihe von Gründen genannt, u.a. wurden Mängel in der westlichen Demokratie (die noch nicht ausgereift war) als kapitalistische MÄngel begriffen (nach dem Motto, im Kapitalismus kann es eben keine wirkliche Demokratie geben), außerdem wurden "staatskapitalistische" Maßnahmen ergriffen, weil das rückständige Rußland im freien Weltmarkt untergegangen wäre (was zwar nicht als Sozialismus qualifiziert werden konnte, das wußte Lenin auch, aber evtl. als Zwischenstufe. Wie man später sah, machte der Staat aber, so Klein, überhaupt keine Anstalten abzusterben). Schließlich lag der Irrtum auch darin, daß man davon ausging, nur Bürger könnten eine bürgerliche Revolution machen, und Proletarier eine sozialistische.
Die Menschewiki stehen für die korrekte theoretische Position, daß eine bürgerliche Revolution angezeigt war. Sie taten aber nichts. Die Bolschewiki wollten unbedingt eine sozialistische Revolution machen, machten praktisch aber eine bürgerliche. Dies unter der Führung und dem Einfluß Lenins, dem von Klein unverhohlene Sympathie und Wertschätzung entgegengebracht wird: Ein großer Theoretiker (bezogen auf die jeweiligen historischen Grenzen), der sich aber in theoretischer Hinsicht selbst beschnitt, um den praktischen Erfordernissen gerecht zu werden.
Freilich:
"Wem es aber wie dem oben zitierten Otto Bauer einfällt, die Oktoberrevolution eine bürgerliche Revolution zu nennen, dem wird in aller Freundschaft der Tod durch Erschießen in Aussicht gestellt."Letztlich, wenn man das Buch in seiner Gesamtheit auf sich wirken läßt, ist man (oder bin ich jedenfalls) versucht zu sagen, daß das ganze Drama einschließlich späterem Stalinismus usw., wenn man denn einen "Schuldigen" braucht, der ungeheuren Rückständigkeit Rußlands vor der Oktoberrevolution geschuldet ist. Immer wieder weist der Autor darauf hin, vor allem auf Leibeigenschaft und Analphabetentum.
Peter Klein: Die Illusion von 1917