Blutige Vernunft (4b)
Superschwieriges Kapitel, in dem es um den Kern geht: Die innere Identität von Aufklärung und Gegenaufklärung. Ob Robert Kurz damit durchkommt, kann ich noch gar nicht sagen, bereits in früheren Blogeinträgen habe ich einige Einwände von Anselm Jappe vorgestellt. Diese sind schon älter, tatsächlich geht Robert Kurz auf diese in seinem Buch auch ein. Nun erstmal einige Abschnitte mit Beispielen, weil man sonst überhaupt nichts versteht (glaube ich).
Auch der Nationalsozialismus als vermeintliche Inkarnation alles reaktionären, gegenaufklärerischen Denkens war in Wirklichkeit gleichzeitig die deutsche Form des fordistischen Schubs (Erläuterung Fordismus) in der globalen Wertvergesellschaftung. Die Nazis modernisierten in diesem Sinne die Industrie, den Krieg, das Geschlechterverhältnis, den Konsum und das Subjekt. Die NS-Formierung Deutschlands bildete auf allen gesellschaftlichen Ebenen den Prototyp der demokratisch-ökonomistischen deutschen Nachkriegsgesellschaft; bis zur Lächerlichkeit deutlich im "Volkswagen", aber eben auch in der weiteren Entwicklung der kapitalistischen Subjektform. Gerade der Kern der NS-Ideologie, der Antisemitismus, ist ein spezifisches Produkt der Moderne und ihrer Aufklärung, das in jedem Krisenschub der "Modernisierung" abgerufen wurde. [...]
Wenn die negative Identität von Fortschritt und Reaktion, von Aufklärung und Gegenaufklärung am Ende des 20. Jahrhunderts zu einer unmittelbaren wird, so in erster Linie deswegen, weil jetzt die innere Dynamik der Wertvergesellschaft ausgebrannt ist. Die einst bitter feindlichen Polaritäten fallen im Krisensturz zusammen, und zwar auf allen Ebenen. Der Markt übernimmt in Gestalt von Konzern-Organisationen immer mehr Staatsfunktionen; die Staatsapparate umgekehrt werden als Quasi-Profitunternehmen immer stärker marktwirtschaftlich ausgerichtet. [...]
In Deutschland zeigt sich zum Beispiel die zunehmende unmittelbare Identität von Aufklärung und Gegenaufklärung spezifisch an der geistes- und publikationspolitischen Entwicklung der "Suhrkamp-Kultur". Dieser Verlag, der in der Nachkriegsgeschichte geradezu symbolisch für eine linksbürgerlich-aufklärerische intellektuelle Offensive im "republikanischen" Widerspruch zur antimodern-gegenaufklärerischen Hypothek der deutschen Geschichte stand, beherbergt heute Haus- und Starautoren wie Martin Walser, Botho Strauß und Peter Sloterddijk [...], die jene intellektuelle Wende repräsentieren, in der inzwischen ganz ungeniert und wortmächtig Auschwitz relativiert, reaktionäre Kulturkritik im Stil einer Elogie von "Thron und Altar" betrieben und biologistisch die "Menschenzüchtung" erörtert wird.
Diese Wende stellt keinen "Verrat an der Aufklärung dar", sondern die Entpuppung der Aufklärung selber in der neuen Weltkrise der Wert- und Abspaltungsgesellschaft. Deshalb handelt es sich nicht um ein abermals spezifisch deutsches Phänomen, sondern um die Richtung des intellektuellen Mainstreams in der gesamten westlichen Welt. Das System von "freedom und democracy" führt seinen Weltkrieg gegen die von ihm selbst hervorgebrachten Terror-Gespenster im Namen eines kulturalistischen Rassismus (Huntington, Fukuyama & Co.), angeführt von einer Figur wie Präsident Bush, der das Zusammenfallen von Aufklärung und Gegenaufklärung geradezu verkörpert.
(Robert Kurz: Blutige Vernunft, 2004)
1 Comments:
Ach Jürgen, Du bist mir zu kompliziert, aber ich möchte trotzdem mal nen lieben Gruß dalassen. Die 5 x 3000 m im Marathontempo - 20sec stehen in meinem Trainingsplan... ;o)
Ich bin also nicht alleine so bekloppt!
Grüße, Kathrin
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