Thursday, August 28, 2008

"Nachholende Modernisierung"

So bezeichnet Robert Kurz (ich habe ihn einige Male damit zitiert) die Kommandowirtschaft vor allem der Stalin-Ära. Dies soll nichts verniedlichen, sondern den Bezug zu den frühkapitalistischen Schrecken des 19. Jahrhunderts herstellen.
In Wildcat 82 gibt es ein Zitat von Loren Goldner, das diese Anschauung aufs Knappste erklärt:

Lenin wollte im Arbeiterstaat "human und bewußt" das machen, was der Kapitalismus "blind und blutig" durchgesetzt hatte: die Verwandlung der agrarischen KleinproduzentInnen in FabrikarbeiterInnen. Es blieb Stalin vorbehalten, diesen Prozess bewußt und blutig durchzusetzen.

Tuesday, August 19, 2008

Blutige Vernunft (2)

Der innere Drang der Verwertungsbewegung als historischer Prozess besteht darin, zur absoluten Selbstgenügsamkeit der leeren Formabstraktion zu gelangen: die Weltgegenstände daher so lange zuzurichten, bis sie in der Leere dieser Form verschwinden - also durch Weltvernichtung. Damit ist der Todestrieb des aufklärerischen Subjekts und seiner identitätslogischen, abspaltenden Vernunft gesetzt, der sich durch die Modernisierungsgeschichte hindurch entfaltet. [...]

In Romantik, Lebensphilosophie, Existentialismus und deren vielfältigen Derivaten kommt die repressive und zerstörerische Irrationalität des Wert-Abspaltungsverhältnisses unmittelbar auch auf der Seite des Wertsubjekts zum Ausdruck, allerdings in entsprechenden Formen. Während die abgespaltenen, in der Wertform nicht aufgehenden Momente der Sinnlichkeit, Emotionalität, der mangels wertförmiger Darstellbarkeit nicht oder nur unter katastrophalen Friktionen ökonomisierbaren "Hege und Pflege", der damit verbundenen Reproduktionsbereiche etc. als die "weibliche", naturhafte, nicht begrifflich erfassbare (und letztlich zu eliminierende) Irrationalität im Gegensatz zum gepanzerten Wertsubjekt erscheinen, naturalisiert und irrationalisiert sich dieses Subjekt der vom Wert gesetzten Rationalität in den subjektivistischen Ideologien selbst; aber bloß kompensatorisch als das, was es ist: Die abstrakte Rationalität schlägt unvermittelt in eine ebenso abstrakte Irrationalität um, die Identität von bürgerlicher Vernunft und objektivem Wahn wird deutlich.

Mit der romantisch-existentialistischen Adaption der Irrationalität dementiert sich das männlich-weiße Wertsubjekt nicht; es entdeckt die "weibliche" (sinnliche) Seite in sich folgerichtig nur als Todes- und Schlächterphantasie, wie sie sich schon von den Ursprüngen der frühmodernen "militärischen Revolution" her im "Kult der Kanonen" herausgebildet hatte und den Bezug zur sinnlichen Welt als abstrakte Vernichtungslogik entwickelte, die sich im Todestrieb der vom Wert bestimmten Subjektform objektiviert hat. Der romantische Kult des Fragmentarischen ist der Trümmerkult der vom Wert verwüsteten Welt, also dem identitätslogischen Totalitarismus nicht entgegengesetzt, sondern dessen Spiegelbild in der Sinnenwelt. "Sinnlich" ist das aufgeklärte Wertsubjekt nur, indem es sinnbildlich oder buchstäblich die Welt zertrümmert und im Blut watet. Diese negative Sinnlichkeit ist selber abstrakt, in ihr erscheint periodisch und auf wachsender historischer Stufenleiter unmittelbar der Todestrieb des Wertsubjekts, das die Welt in die leere Form seiner Realabstraktion auflösen möchte.

Die romantische männliche Liebe hat ihr Objekt am liebsten in der Form der Wasserleiche (Ophelia); von den höchsten artifiziellen Ausdrucksformen bis zum Stammtisch ("Der Bauch, der war bemoost; meine Herren, Prost!"). Die Literaturhistorikerin Elisabeth Bronfen hat dazu Anfang der 90er Jahre eine umfassende Monografie vorgelegt ("Nur über ihre Leiche": Tod, Weiblichkeit und Ästhetik). In den Blut- und Bodenideologien nimmt diese Irrationalität selber die Form des Vernunftbegriffs an; und auf den Schlachtfeldern der Modernisierungsgeschichte kommt diese negative, abstrakte Sinnlichkeit des "Blutes" zu sich; in der liebenden mann-männlichen Umarmung der Wertsubjekte, die sich gegenseitig mit Bajonetten durchlöchern, ebenso wie in der Romantisierung der Bluträusche in den industrialisierten Großkriegen des 20. Jahrhunderts (Ernst Jünger).

Wie die Abspaltung der "weiblich" definierten, unerlässlichen und dennoch immer wieder und immer brutaler vernachlässigten, eingeschnürten oder direkt zerstörten Momente der Reproduktion das destruktive Wertsubjekt nicht in Frage stellt, sondern vielmehr erst ermöglicht, solange sich der Todestrieb nicht vollendet hat, so überwindet die irrationale Existenzideologie und die negative, blutige Sinnlichkeit der romantisch werdenden Aufklärungs-Männlichkeit dieses Subjekt erst recht nicht, sondern bringt sein weltvernichtenden Wesen zum Vorschein.

Es ist der regelmäßige Fieberanfall der aufgeklärt-rationalen Macher wie der aufgeklärt-rationalen kontemplativen Theoretiker selbst, in dem sich die Irrationalität dieser Ratio zeigt. Es ist also Kant im Zustand der Sinnlichkeit, das heißt der Niedermetzelung alles Lebenden, das nicht in der Wertabstraktion aufgehen kann. Darin zeigt sich die negative, polare Identität von bürgerlicher Moderne und (scheinbarer) bürgerlicher Gegenmoderne. Und nur in dieser unmittelbaren Identität von wertförmiger Vernunft und Vernichtung kann auch der Macher mit dem Denker zusammenfallen. Die bürgerliche Einheit von Theorie und Praxis ist das Vernichtungslager, die Atomexplosion, das Flächenbombardement. Darin besteht der verborgene gemeinsame Nenner von Kant, Hitler und Habermas, von deutscher Ideologie und US-Pragmatismus, von liberaler Zwangsfreiheit und totalitärem Autoritarismus. Trotz aller historischen Gegensätzlichkeit in der Durchsetzungsgeschichte der Wertvergesellschaftung wird dieser gemeinsame Nenner in den großen Krisen und zumal an den Grenzen des Systems sichtbar. Und in dieser Hinsicht gilt es zusammen zu denken, was zusammen gehört.
(Robert Kurz: Blutige Vernunft, 2004)

Saturday, August 16, 2008

"Selbstverantwortung" in der Kapitalismusgeschichte

So, ich glaube so langsam wird mir klar, was in den letzten 500 Jahren richtig und was falsch gelaufen ist. Darunter mach ich´s nicht, eh klar. :)
Ein älterer Text (1997) von Robert Kurz (von wem sonst) gibt Aufschluß. Wollen wir mal schauen, ob ich in den nächsten Tagen noch eine ganz grobe Quintessenz all dieser Texte hinkriege. (Zweifel sind erlaubt)

Thursday, August 14, 2008

Gottesstaat in Deutschland?

Bayern ist ein Gottesstaat. Das kann nun nicht mehr bezweifelt werden: Kreuze bleiben

Monday, August 11, 2008

Blutige Vernunft (1)

Dies ist ein weiteres großartiges Werk des Theoretikers Robert Kurz aus dem Jahr 2004. Die Wertkritiker, zu denen er zählt, greifen ja nicht nur den "Kapitalismus" an, sondern auch die "Arbeit". Noch viel unverdaulicher für den linken Mainstream ist es aber, die "Aufklärung" anzugreifen. Robert Kurz legt dies in seinem Buch selbst dar. Aber der Reihe nach. Beginnen wir mit einem zentralen Begriff der Aufklärung, der "Vernunft":

Obwohl der schillernde Vernunftbegriff des Aufklärungsdenkens immer wieder thematisiert wurde, blieb doch die Kritik daran unscharf, indem sie stets einer präzisen Bestimmung des reduzierten normativen Gehalts im aufklärerischen Vernunftbegriff auswich. Dieses Verständnis von Vernunft enthielt jedoch im Grunde nichts anderes als die militante Affirmation der metaphysischen Form, das heißt der Wertform des modernen warenproduzierenden Systems oder der irrational verselbständigten Form des "automatischen Subjekts" (Marx); eine Bezeichnung, die auf den absurden Charakter der auf sich selbst als Selbstzweck rückgekoppelten Verwertungsbewegung des Kapitals verweist, und damit gleichzeitig auf die entsprechende Absurdität der dazugehörigen Subjektform, wie sie das Denken und Handeln der an dieses Rad gebundenen gesellschaftlichen Individuen prägt. Dieser destruktive Begriff von Vernunft wurde im Aufklärungsdenken wesentlich entfaltet, das reflexive Denken darauf zugeschnitten und jede andere Reflexionsebene ausgeschaltet, bis mit zunehmender Durchsetzung des Systems kapitalistischer Wertvergesellschaftung die "Macht des Faktischen" im Denken als Positivismus dieser "realisierten" Vernunft ankommen und die Reflexion überhaupt auf Sparflamme zurückgedreht werden konnte. Der aufklärerische Sonnenaufgang der Vernunft war daher zugleich der Untergang der Vernunft, vermittelt durch die Einbannung des menschlichen Denkvermögens in die ganz und gar unvernünftige Form der Wertvergesellschaftung.

Deshalb kann auch keine Rede von einer transzendierenden Permanenz der aufklärerischen Intention von Kritik sein. Die Aufklärung in allen ihren Variationen und Entwicklungsstufen hat immer nur diejenigen Zustände und Erscheinungen einer Kritik unterzogen, die irgendwie dem zermalmenden Rad der Verwertungsbewegung im Wege standen. Eben deswegen war ihre Kritik an den vormodernen Zuständen eine Kritik an Herrschaft nur insofern, als den bisherigen Herrschaftsformen mangelnde Effizienz und mangelnde Zugriffsfähigkeit bis ins Innere der Individuen vorgeworfen wurde. Aufklärung war von Anfang an Ausleuchtung der Schwachstellen von Herrschaft, um diese in einer neuen, versachlichten Form zu befestigen, die gleichzeitig als unübersteigbare Naturform ideologisiert wurde. Der Anfang aufklärerischer Kritik war daher zugleich das Ende aller Kritik, das Verschwinden von Kritik der selbstbezüglichen Form bürgerlicher Subjektivität. Aufklärung wollte eine grundsätzliche Kritik an dieser Form nicht etwa bloß zurückweisen, sondern geradezu denkunmöglich machen.

Deshalb war die Aufklärungsphilosophie als Begründung westlicher Werte auch ihrer Natur nach kein Versprechen, sondern in Wahrheit eine Drohung; genauer gesagt: Die Drohung nahm perfiderweise die Form eines Versprechens an. Nicht das Glück wurde versprochen, sondern einzig das Streben danach in der Form mörderischer Konkurrenzverhältnisse, was zugleich den Begriff des Glücks dementiert. Der an sich schon unklare, beliebige Begriff des Glücks meinte nie etwas anderes als den Erfolg in der Konkurrenz, was die die Gegenstände des Glücks immer schon in einer kapitalistischen Form voraussetzt, außer der es keine andere Form geben soll. Der Zwang für die Individuen, ihr Glück unter den Zwängen der Verwertungsbewegung zu suchen, ist insofern identisch mit einer ungeheuren Drohung, weil er erstens die Glücksgeschichte als Leidens- und Zumutungsgeschichte präformiert und weil er zweitens selbst noch innerhalb von Leid und Zumutung das völlige Scheitern und den Verlust der sozialen, ja sogar der physischen Existenz nicht bloß als Möglichkeit zuläßt, sondern für die notwendigen Verlierer von vornherein voraussetzt.
(Robert Kurz: Blutige Vernunft, 2004)

Sunday, August 10, 2008

Hier liegt der Mann

Ich sterbe dir, und soll ein fremder Sand
Den oft durch dich ergötzten Leib bedecken,
So gönne mir das letzte Liebespfand
Und laß ein Kreuz mit dieser Grabschrift stecken:
Wo ist ein Mensch, der treulich lieben kann?
Hier liegt der Mann.


Komplett: Abschieds-Aria von Johann Christian Günther