Thursday, June 07, 2012

Das System, Schuldige und Sündenböcke

Zitat Robert Kurz ("Marx lesen" - aus dem Jahr 2000):
Konkurrenz, künstlich erzeugter Überlebenskampf, Krisen usw. treiben die Potenz der Barbarei hervor, aber praktisch vollstreckt werden muß diese Barbarei von den handelnden Menschen, also auch durch ihr Bewußtsein hindurch. Und deshalb sind die Individuen auch subjektiv verantwortlich für ihr Tun, der häßliche Manager und der schmutzige Politiker ebenso wie andererseits der rassistische Arbeitslose und die antisemitische alleinerziehende Mutter.

Damit ist schon viel gesagt zum Verhältnis Systemkritik und persönlicher Schuldzuweisung. Heutzutage hat Letztere auf wertkritischen Seiten wie exit-online.org (wo Robert Kurz der "produktivste" Mann ist) kaum noch Konjunktur, sondern gilt eher als regressive Kapitalismuskritik (bis hin zum Vorwurf des "strukturellen Antisemitismus"); offensichtlich gibt es eine Hinwendung zu antideutschen Positionen, die sich durch unhaltbare "pro-israelische" Statements ebenso verrät wie auch durch die jüngsten Veröffentlichungen im Magazin "konkret" (zwar kann "konkret" m.E. nicht als antideutsch bezeichnet werden, ist aber recht offen für derartiges Gedankengut). Daher würde ich bezweifeln, daß Robert Kurz heute noch Ähnliches schreiben würde wie im Jahr 2000, das ändert aber nichts an der Richtigkeit des damals Gesagten.

Richtig ist auch, daß persönliche Haftbarmachung nicht ohne einen Blick auf den gesellschaftlichen Hintergrund geschehen sollte. Wichtig erscheint mir hier der Begriff der Austauschbarkeit: Wenn jemand die kapitalistische Logik auf Kosten z.B. von sozial schwachen Menschen vollstreckt, dann gilt beides, er ist schuldig, aber der Exekutor ist austauschbar. Wenn die gesellschaftliche Situation reif dafür ist, findet sich immer ein Exekutor. D.h. der Zorn auf diesen darf nicht die eigentlichen Ursachen überdecken.

Im Grunde gilt hierbei für die Finanzmärkte dasselbe wie für die "Realwirtschaft": Wenn ein Ackermann fragwürdige Finanzprodukte anbietet, ist er dafür ebenso zu kritisieren wie der Pharma-Boss, der Kinder mit einer verbrecherischen HPV-Impfung überziehen will. BEIDE Handlungen folgen der Logik und dem Druck des Kapitalismus.

Es sind m.E. aber Differenzierungen nötig. Wird z.B. Hartz IV gekürzt, gilt oben Gesagtes uneingeschränkt. Wird hingegen die Kreditwirtschaft und Spekulation angeheizt, wie seit ca. 20 Jahren geschehen, dann kommt es zunächst auf die richtige Analyse an, die ebenfalls von EXIT!, ebenso von Krisis (krisis.org) und den Streifzügen (streifzuege.org) geleistet wird: Daß nämlich ein Weiterleben des Kapitalismus auf halbwegs anständigem Niveau seit geraumer Zeit nur noch durch die Aufblähung des Finanzsektors gewährleistet wurde. Hierzu hätte es keine bessere Alternative gegeben (sofern man den Kapitalismus nicht ganz abschaffen will, was ja nie auf der Tagesordnung stand). Die Kritik an den "unregulierten" Finanzmärkten sowie an der Spekulation und der "Gier" ist daher mit Vorsicht zu genießen; will man damit die Krise erklären, werden Ursache und Wirkung verwechselt.

Ja aber, wandte Konstantin Wecker kürzlich sinngemäß ein, wenn einige Leute richtig viel Geld haben, und damit richtig viel Macht, das ist doch gefährlich, undemokratisch usw.. Das ist ein richtiger und wichtiger Gesichtspunkt: Die Akteure sind zwar alle dem gleichen System unterworfen. Aber nicht in gleicher Weise! Es ist doch ein großer Unterschied, ob man oben oder unten mitschwimmt....Was das genau bedeutet, ist mir aber nicht ganz klar. Der Klassenkampf mag überholt sein, aber Robert Kurz selbst spricht ja von einer "Massenbewegung", die erforderlich wäre. Und da es "da oben" keine "Masse" gibt...?!

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