Tuesday, November 06, 2012

Feminismus und Geschlechterfrage mißverstanden

Während die tollsten akademischen Gender-Debatten toben, gibt es andernorts viele Mißverständnisse zur Feminismus- und Geschlechterdiskussion. So war vor einigen Jahren zu lesen: Die Forschung habe herausgefunden, daß Frauen gar nicht die besseren Menschen seien. Deshalb sei der Feminismus nun widerlegt. Ich muß das wohl nicht weiter ausführen...

Kürzlich schrieb ich in einer Internetdiskussion, man müsse doch, wenn wir schon eine nicht lösbare gesellschaftliche Krise haben, doch wenigstens Einigkeit erzielen können, daß man sich derweil nicht an Frauen, Schwulen, Juden oder Moslems vergreift. Hierauf kam die Antwort, in welcher Welt ich denn lebe? "Jedenfalls nicht in unserer."

Warum jemand zu dieser Wahrnehmung kommt, ist mir ziemlich klar. Frauenförderung, Schwulenparaden, und jeder will der allergrößte Rassismusbekämpfer unter der Sonne sein. In diesem Sinne schrieb kürzlich auch eine Frau: "Die Mädchen werden z.B. in der Schule viel besser gefördert, darum brauchen eher Jungs/Männer Unterstützung."

Aus meiner Sicht ist unschwer zu erkennen, daß hier oberflächliche Kosmetik und punktuelle Gegenmaßnahmen mit der Struktur der Gesellschaft verwechselt werden. Um die Übersicht zu behalten, will ich mich an dieser Stelle auf die Geschlechterfrage beschränken. Wenn z.B. Mädchen oder Frauen "gefördert" werden (Schule, Quoten etc.), kann dies m.E. nicht als Beweis für eine frauendominierte Gesellschaft gelten. Es ist doch wesentlich naheliegender, daß hier schlechtes Gewissen, Vertuschung der tatsächlichen Verhältnisse u.ä. die entscheidende Rolle einnehmen.

Noch vor ca 40 Jahren galt die gesetzliche Vorschrift, derzufolge in einer Ehe bei unüberwindbaren Meinungsunterschieden der Mann bestimmen durfte. Bis vor ca 100 Jahren hatten Frauen in D kein Wahlrecht. Die Feministin Roswitha Scholz hat die im Kapitalismus herrschende geschlechtliche Abspaltung herausgearbeitet. "Der Mann ist der Wert" lautet der Titel eines frühen Textes von ihr. Damit sind beide Bedeutungen des Worts "Wert" angesprochen, nämlich daß der Mann für die Vorderseite der Wertverwertung im Kapitalismus zuständig ist (aus 1 Euro 2 machen), und daß der Mann daher auch gesellschaftlich "mehr gilt", "mehr wert" ist.

Die sog. Aufklärung hatte daran gehörigen Anteil: Sie appellierte an die Vernunft, den menschlichen Geist - wobei menschlich aber im wesentlichen "männlich" bedeutete, während die Frau der "Natur" zugerechnet wurde. Schopenhauer ließ sich darüber aus, wie eine Frau tagelang mit irgendwelchen Kindern rummache, das fand er zwar ok, aber: Was könnte nicht ein MANN alles in dieser Zeit leisten. Clara Schumann trotz ihrer für damalige Verhältnisse ungewöhnliche Karriere (Pianistin, Komponistin) fügte sich dennoch der Kompetenzverteilung als angeblich naturgegeben und schrieb über ihre beste Komposition: „Natürlich bleibt es immer Frauenzimmerarbeit, bei der es […] an der Kraft und hie und da an der Erfindung fehlt.“

Die damit verbundene (gesellschaftliche) Abwertung der Frau ist nicht gleichbedeutend mit der Ansicht, daß es Frauen durchweg schlechter hätten. Letzteres ist Opferfeminismus, der in der Tat mit der Realität wenig zu tun hat. Natürlich haben es Frauen auch in mancher Hinsicht besser, was aber an der grundlegenden Abwertung nichts ändert.

Die geschlechtliche Abspaltung: Der Mann ist für die "Vorderseite" des Kapitalismus zuständig, die Frau für die Rückseite, die aber für das Funktionieren des Kapitalismus unabdingbar ist: Familie, Liebe, Betreuung...Diese Abspaltung wird heute bekanntlich nicht mehr in dieser (reinen) Form durchgehalten. Ist das Patriarchat damit beendet oder zumindest in Auflösung begriffen? Laut Roswitha Scholz ist eher eine Verwilderung eingetreten. Was nichts Positives ist. Aber damit wird die Lage auch sehr unübersichtlich und verwirrend, die alten Strukturen, Gegenbewegungen und Verwilderungstendenzen greifen ineinander. Recht beliebt ist in der finalen Krise des Kapitalismus die Idee, den Frauen Rettungsarbeiten aufzutragen - sie seien ja sozial viel kompetenter und überhaupt. Was auch mit einschließt, wer mal wieder schuld ist, wenn es nicht klappt, und es kann ja nicht klappen (nicht wegen der Frauen, sondern wegen des Kapitalismus).

Einerseits werden seit Jahrzehnten Männer häufig veralbert (in Comedy_Serien uä.) - statt das Patriarchat als solches anzugreifen -, andrerseits erfahren auch Frauen weiterhin Abwertungen im öffentlichen Leben. Einige Leser-Kommentare zu Artikeln über Pussy Riot lassen in dieser Hinsicht nichts zu wünschen übrig. Eine Feministin gab mal zu bedenken, daß die Männer-Trottel in Fernsehserien immerhin noch sympathisch angelegt seien, das hieße, Männer gehen auch als Trottel noch durch, Frauen nicht. Interessanter Gedanke, wenngleich ich nicht weiß, ob es durchweg stimmt.

Frauen in Führungspositionen? Es gebe zu wenige davon, wird heute häufig beklagt. Das ist eine zwiespältige Angelegenheit. Richtig ist, daß die fortdauernde geschlechtliche Abspaltung und die Abwertung des Weiblichen daran festgemacht werden kann. Allerdings ist es eine blödsinnige Vorstellung, daß es Frauen - UND Männern - hauptsächlich um Führungspositionen gehe. Wirklich weiter bzw. "heraus" führt dieses Denken jedenfalls nicht. Abschließend nochmal Roswitha Scholz: "Es ist m.E. pervers, wenn die Welt "ringsherum zusammenbricht", die Emanzipationschancen von Frauen im Zuge der Globalisierung zu beschwören, wie dies manche Genderforscherinnen tun, denen es völlig egal ist, daß diese "Chancen" sich immer schon nur in extremen Gewinner-Verlierer-Verhältnissen darstellen, also innerhalb des zerfallenden warenproduzierendpatriarchalen Systems mit seiner destruktiven Dynamik für Mensch und Natur."

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