Thursday, September 25, 2008

Jutta Ditfurth und Ulrike Meinhof

Letzte Woche war ich auf einer "Lesung". Ditfurth kündigte aber sogleich an, daß sie höchstens wenige Zeilen aus ihren Büchern über RAF-Mitgründerin Ulrike Meinhof vorlesen würde; der Rest sei freier Vortrag. Diesem lauschten dann ungefähr 2 Stunden lang ca. 50 Zuhörer (mehr als der Veranstalter erwartet hatte).

Thema war nicht nur Meinhof, sondern auch die Recherche Ditfurths, die 6 Jahre in Anspruch nahm. Sie hatte nur 2 Jahre eingeplant. Sie hatte mit gut gefüllten Archiven gerechnet, stattdessen sei sie überall auf riesige Lücken gestoßen, so daß sie sich entschlossen habe, nochmal ganz von vorn anzufangen. Ihr Intimfeind ist offensichtlich Stefan Aust. Nun, das trifft sich gut, hege doch auch ich schon seit langem eine herzliche und tiefe Abneigung gegen diesen karrieregeilen aalglatten Möchtegernjournalisten. :) Sein Buch "Der Baader-Meinhof-Komplex" strotze nur so vor Fehlern und Verdrehungen; sie sei gespannt und würde demnächst mal nachsehen, ob er in der neuesten Ausgabe wenigstens die gröbsten und peinlichsten Fehler beseitigt habe...

Beklemmend waren die vielen Nazifiguren, denen Meinhof (nicht nur sie natürlich) ausgesetzt war. Natürlich in ihrer Kindheit, denn sie wurde ja in die 30er Jahre hineingeboren. Und natürlich in der Nachkriegszeit. Aber auch später, in den 60er-und 70er-Jahren waren sie allgegenwärtig; und selbst der Arzt, der 1976 ihren Tod feststellte und illegalerweise Totenmasken von ihr anfertigte, sei ein alter Nazi gewesen. Nebenher stellt Ditfurth auch richtig, daß Meinhofs Vater keineswegs ein leidenschaftlicher Nazigegner war, wie öfter behauptet wird, vielmehr war auch er ein überzeugter Nazi. Auch Meinhofs Zieh- bzw. Pflegemutter Renate Riemeck kommt nicht viel besser weg.

Neben den Familienverhältnissen widmet Ditfurth sich auch relativ ausgiebig der beiden (versuchten) ernsthaften Liebesbeziehungen von Meinhof in ihrer Jugend, die verboten wurden. Eine mit einer Frau, eine mit einem Mann, denn Meinhof war zeitlebens bisexuell. Eine Unzahl von Briefen trieb Ditfurth bei einer 76-jährigen Frau in Hamburg auf; Entdeckerstolz war spürbar.

Auch als Mutter kommt Meinhof wesentlich besser weg als in der üblichen Lesart. Die von Ehemann Röhl aufgetischten Versionen seien falsch. Entsprechend müsse auch die bekannte "Befreiung" der Kinder aus den "Klauen" von Mutter Meinhof (mit angeblich finsteren Plänen) in einem völlig anderen Licht gesehen werden. An Röhl läßt Ditfurth nun wirklich kein gutes Haar; aber auch Meinhof wird hier hart kritisiert dafür, diesen Mann geheiratet zu haben. Durchaus, wie es anklang, eine Heirat auch aus etwas berechnenden Motiven, weil sie unbedingt Kinder haben wollte, weniger aus großer Liebe.

Viele spitze Bemerkungen galten auch anderen Personen der Zeitgeschichte, von Helmut Schmidt, dem "Wehrmachtsofffizier", bis zu Horst Mahler (einst in der APO, jetzt Faschist, so gehe es halt, wenn man der nationalen Frage positiv gegenüberstehe). Ausdrücklichen Respekt zollte sie aber dem TV-Streitgespräch zwischen Günter Gaus und Rudi Dutschke, ein ernsthaftes Gespräch auf hohem Niveau, das im Fernsehen längst undenkbar geworden sei.

Bei der kritischen Frage der Gewalt betont Ditfurth (wenn ich sie richtig verstehe), daß ja nicht die RAF die Gewalt in den Staat hineingetragen habe. Vielmehr seien bereits 1952, 15 Jahre vor der Ermordung Benno Ohnsorgs, ein Demonstrant (gegen die Wiederbewaffnung der BRD) erschossen und mehrere verletzt worden.
Die Rolle des Vietnam-Kriegs dürfte bekannt sein, darüber hinaus gab es unverhältnismäßig hohe (= politisch motivierte) Haftstrafen wegen Sachbeschädigungen und sogar Nichtigkeiten.

Bei der Gründung der RAF habe es zunächst nur zwei militante Ziele gegeben: Das erste betraf Heimkinder, denen stets Meinhofs besondere Anteilnahme galt. Die Zustände in den Heimen in den 50er- und 60er-Jahren dürften mehr oder weniger auch bekannt sein. Diese Kinder und Jugendliche sollten nun mit der Waffe geschützt werden. (Den zweiten Punkt habe ich vergessen, er spielte sich aber wohl auf einer ähnlichen Ebene ab)

Wie Ditfurth grundsätzlich zum Griff nach den Waffen, der Gründung und Entwicklung der RAF, steht, war zunächst nicht klar erkennbar. In der späteren Diskussion wurde deutlich, daß sie dem militanten Kampf der RAF trotz offenkundiger Sympathie für ihre Protagonistin negativ gegenübersteht. Der aufmerksame bürgerliche Beobachter könnte hier einwenden, daß Ditfurth sich nicht grundsätzlich gegen den bewaffeten Kampf ausgesprochen habe, sondern ihn nur mangels Erfolgsaussichten ablehne. Das dürfte nicht von der Hand zu weisen sein, m.E. ist Ditfurths Haltung aber durchaus gut begründbar, und waschechte Pazifisten sind die Jungs aus dem konservativen Lager ja nun wahrlich auch nicht.

Ditfurth wirft Meinhof vor, es "eigentlich" besser gewußt zu haben. Meinhof habe noch beim Übergang zur Militanz einen Artikel verfaßt, in dem sie erkennt, daß Bewußtseinsbildung nötig ist und Drauflosschlagen nichts bringt. Aus unerfindlichen Gründen habe sie das verdrängt und geglaubt, eine "Avantgarde" bilden zu sollen, der andere dann nachfolgen würden.

Ditfurth meinte auch, daß der Staat nachweislich an mehreren Stationen die Möglichkeit gehabt hätte, die Eskalation der Gewalt zu verhindern. Diese Bemerkung schreit natürlich nach Konkretisierung (die sich im Buch finden mag).

Beim Thema Isolationshaft ist die Meinung Ditfurths ebenfalls unzweideutig: Diese habe bestanden. Die Haftbedingungen seien darauf ausgerichtet gewesen, sie zumindest psychisch/geistig zu vernichten. Auch die Besuchsbedingungen waren rigoros. Die Bilder auf denen man sie zusammen mit anderen RAF-Häftlingen sehe, würden Ausnahmesituationen wiedergeben, ganz überwiegend sei sie total isoliert gewesen.

Die überaus brisante Frage Mord oder Selbstmord kann Ditfurth nicht beantworten. Falls sie eine private Meinung dazu hat, hat sie diese jedenfalls für sich behalten. Sie betont allerdings, daß einige sehr merkwürdige Dinge geschehen seien, d.h. man habe alle Spuren verwischt und alle Untersuchungen erschwert oder unmöglich gemacht. Insofern seien die staatlichen Organe selbst schuld daran, daß die Spekulationen über Mord nie ausgeräumt werden konnten.

Aufgrund des schlechten Gedächtnisses des Verfassers ist dieser Bericht mit großer Vorsicht zu genießen. Aber ich werde mir das Buch wohl noch holen müssen.
Übrigens erbittet Ditfurth Spenden für das von ihr angelegte Meinhof-Archiv. Sie selbst steht vor der Zwangsvollstreckung (zu viel Zeit für das Buch benötigt, siehe oben).
Jutta Ditfurth: "Ulrike Meinhof. Die Biografie"

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