Monday, August 11, 2008

Blutige Vernunft (1)

Dies ist ein weiteres großartiges Werk des Theoretikers Robert Kurz aus dem Jahr 2004. Die Wertkritiker, zu denen er zählt, greifen ja nicht nur den "Kapitalismus" an, sondern auch die "Arbeit". Noch viel unverdaulicher für den linken Mainstream ist es aber, die "Aufklärung" anzugreifen. Robert Kurz legt dies in seinem Buch selbst dar. Aber der Reihe nach. Beginnen wir mit einem zentralen Begriff der Aufklärung, der "Vernunft":

Obwohl der schillernde Vernunftbegriff des Aufklärungsdenkens immer wieder thematisiert wurde, blieb doch die Kritik daran unscharf, indem sie stets einer präzisen Bestimmung des reduzierten normativen Gehalts im aufklärerischen Vernunftbegriff auswich. Dieses Verständnis von Vernunft enthielt jedoch im Grunde nichts anderes als die militante Affirmation der metaphysischen Form, das heißt der Wertform des modernen warenproduzierenden Systems oder der irrational verselbständigten Form des "automatischen Subjekts" (Marx); eine Bezeichnung, die auf den absurden Charakter der auf sich selbst als Selbstzweck rückgekoppelten Verwertungsbewegung des Kapitals verweist, und damit gleichzeitig auf die entsprechende Absurdität der dazugehörigen Subjektform, wie sie das Denken und Handeln der an dieses Rad gebundenen gesellschaftlichen Individuen prägt. Dieser destruktive Begriff von Vernunft wurde im Aufklärungsdenken wesentlich entfaltet, das reflexive Denken darauf zugeschnitten und jede andere Reflexionsebene ausgeschaltet, bis mit zunehmender Durchsetzung des Systems kapitalistischer Wertvergesellschaftung die "Macht des Faktischen" im Denken als Positivismus dieser "realisierten" Vernunft ankommen und die Reflexion überhaupt auf Sparflamme zurückgedreht werden konnte. Der aufklärerische Sonnenaufgang der Vernunft war daher zugleich der Untergang der Vernunft, vermittelt durch die Einbannung des menschlichen Denkvermögens in die ganz und gar unvernünftige Form der Wertvergesellschaftung.

Deshalb kann auch keine Rede von einer transzendierenden Permanenz der aufklärerischen Intention von Kritik sein. Die Aufklärung in allen ihren Variationen und Entwicklungsstufen hat immer nur diejenigen Zustände und Erscheinungen einer Kritik unterzogen, die irgendwie dem zermalmenden Rad der Verwertungsbewegung im Wege standen. Eben deswegen war ihre Kritik an den vormodernen Zuständen eine Kritik an Herrschaft nur insofern, als den bisherigen Herrschaftsformen mangelnde Effizienz und mangelnde Zugriffsfähigkeit bis ins Innere der Individuen vorgeworfen wurde. Aufklärung war von Anfang an Ausleuchtung der Schwachstellen von Herrschaft, um diese in einer neuen, versachlichten Form zu befestigen, die gleichzeitig als unübersteigbare Naturform ideologisiert wurde. Der Anfang aufklärerischer Kritik war daher zugleich das Ende aller Kritik, das Verschwinden von Kritik der selbstbezüglichen Form bürgerlicher Subjektivität. Aufklärung wollte eine grundsätzliche Kritik an dieser Form nicht etwa bloß zurückweisen, sondern geradezu denkunmöglich machen.

Deshalb war die Aufklärungsphilosophie als Begründung westlicher Werte auch ihrer Natur nach kein Versprechen, sondern in Wahrheit eine Drohung; genauer gesagt: Die Drohung nahm perfiderweise die Form eines Versprechens an. Nicht das Glück wurde versprochen, sondern einzig das Streben danach in der Form mörderischer Konkurrenzverhältnisse, was zugleich den Begriff des Glücks dementiert. Der an sich schon unklare, beliebige Begriff des Glücks meinte nie etwas anderes als den Erfolg in der Konkurrenz, was die die Gegenstände des Glücks immer schon in einer kapitalistischen Form voraussetzt, außer der es keine andere Form geben soll. Der Zwang für die Individuen, ihr Glück unter den Zwängen der Verwertungsbewegung zu suchen, ist insofern identisch mit einer ungeheuren Drohung, weil er erstens die Glücksgeschichte als Leidens- und Zumutungsgeschichte präformiert und weil er zweitens selbst noch innerhalb von Leid und Zumutung das völlige Scheitern und den Verlust der sozialen, ja sogar der physischen Existenz nicht bloß als Möglichkeit zuläßt, sondern für die notwendigen Verlierer von vornherein voraussetzt.
(Robert Kurz: Blutige Vernunft, 2004)

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