Sunday, September 07, 2008

Blutige Vernunft (3b)

Es wird konkreter :)

Die auf den Zustand der Wertsubjektivität reduzierte Anerkennung des Menschen ist daher identisch mit seiner grundsätzlichen Nichtanerkennung als ein darin nicht aufgehendes un darüber hinaus bedürftiges sinnliches und soziales Wesen. Der universelle Einschluss ist gleichzeitig ein universeller Ausschluss. Soweit die ausgeschlossenen Momente, Dinge und Wesen dennoch für die gesellschaftliche Lebensfähigkeit nötig sind und der Todestrieb des Wertsubjekts sich noch nicht vollendet hat, werden sie abgespalten, ansonsten einfach ausgeblendet oder eben annihiliert. Das Anerkennungsverfahren des westlichen abstrakten Universalismus ist so notwendigerweise ein Selektions- und Eliminationsverfahren, was nicht zufällig an das ebenso bürokratische wie barbarische "Anerkennungsverfahren" für Asylbewerber erinnert, von denen bekanntlich die meisten abgelehnt werden. Auch die Assoziation an die Selektionsrampen von Auschwitz ist keine böswillige, sondern trifft die Natur der Sache. Auschwitz war die äußerste Zuspitzung des "Anerkennungsverfahrens" westlicher Menschenrechte.
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Das Selektionsverfahren kann "objektiv" (nach Verwertungsgesichtspunkten und Marktlagen) sein und es kann "subjektiv" (ideologisch, staatstechnisch) vollstreckt werden. Die schreienden Widersprüche der Wertvergesellschaftung gehen in ihrer ganzen Irrationalität und mord-ideologischer Verarbeitung ebenso in dieses Selektionsverfahren ein wie die Binnenrationalität der Betriebswirtschaft.

Deshalb ist der abstrakte westliche Rechtsuniversalismus im Prinzip mit der Sklaverei ebenso vereinbar wie mit der rassistischen, antisemitischen und nationalistischen Ausgrenzung oder Vernichtung. Da zwischen der leiblichen Existenz und der Rechtsfähigkeit als anerkanntes Rechtssubjekt eine systematische Lücke klafft, ist der das Anerkennungs- als Selektionsverfahren wirkt, kann diese leibliche Existenz ebenso verworfen oder anderer Verwendung zugeführt werden wie eine vom Markt nicht "anerkannte" Ware, von der sich ihre kapitalistische "Überflüssigkeit" herausstellt.

Wenn die Gründerväter der USA die Sklaverei der Schwarzen für richtig und sogar naturgesetzlich hielten und die Vormacht von "freedom and democracy" ihren ökonomischen take off der Sklavenarbeit verdankte, so war das ebenso wenig eine Verletzung des abstrakten westlichen Universalismus wie die Tatsache, dass die Repräsentanten der Französischen Revolution die Erhebung der Schwarzen auf Haiti niederkartätschen ließen, obwohl diese sich (naiverweise) auf die Gleichheitsprinzipien der Französischen Revolution selbst beriefen. Die entweder unreflektierten oder geradezu perfiden Ideologen des westlichen Universalismus bis hinauf zu Habermas u. Co. stellen diese Tatsachen regelmäßig als ("zeitbedingte") bloße Inkonsequenz und als bloß mangelnde Vollendung des Universalismus-Projekts, weil sie systematisch den vorgängigen objektiv-subjektiven Selektionscharakter der "Anerkennung" ausblenden.

Solange sie nur in der Form der Sklaverei als Verwertungsobjekte rentable Verwendung finden konnten, wurde das Anerkennungsverfahren für die US-Schwarzen ebenso negativ beschieden. Die "Sklavenbefreiung" andrerseits kam nicht als endliche Konsequenz eines an sich schon die leibliche Existenz anerkennendes Univeralismus-Prinzips, sondern weil die Sklaverei für den Verwertungsprozess in den USA dysfunktional geworden war. Dies ist allerdings keineswegs bloße Entwicklungsgeschichte, die den Sklavenstatus für immer hinter sich gelassen hätte. Heute spuckt der globale Verwertungsprozess immer mehr absolut "Überflüssige" aus, die deshalb im weiteren (permanenten) Anerkennungsverfahren des abstrakten Universalismus wegselektiert werden. Aus der Masse dieser als Nicht-Subjekte objektivierten, bloß leiblichen, nicvht mehr "anerkennungsfähigen" Menschen bilden sich neue Sklaven- und sklavenähnliche Verhältniss, soweit sie nicht schierem Elend und Hungertod überlassen werden.

Das schmutzige Mitgefühl der gegenwärtigen westlichen Freiheitskämpfer gibt, wenn man das Kleingedruckte liest, den Herausgefallenen dieser Welt keinesfalls das Versprechen, dass sie in ihrer leiblichen Existenz per se anerkannt werden. Vielmehr lautet das Versprechen in seiner ganzen abgrundtiefen Gemeinheit lediglich: Es tut uns ja so unendlich leid, dass ihr (womöglich durch eigene Schuld, weil ihr euch nicht genügend angestrengt und nicht genügend die westlichen Werte etc. angenommen habt) aus der Verwertungsfähigkeit und damit aus dem Universalismus des Werts herausgefallen seid; und wir wollen alles tun, was in unserer Macht steht, damit ihr wieder oder überhaupt hineinkommt (wenn ihr euch selber kräftig am Riemen reißt und alle Zumutungen dankbar hinnehmt wie ein Geschenk).
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Das Versprechen ist daher immer schon eine Drohung: Wenn die Bedingung nicht erfüllt werden kann (und für die Mehrzahl der Menschen ist sie heute "objektiv" gar nicht mehr erfüllbar, selbst wenn sie sich bis zur Selbstaufgabe anstrengen), muss leider, leider auch die Anerkennung ausbleiben. Das Ende der bloß noch physikalischen Existenz der "Überflüssigen" als Kollateralschaden des Weltmarkts ist abzusehen.

Übrigens gilt dies keineswegs nur für die "überflüssigen" Massen der Dritten Welt. Ein Gang durch deutsche Sozialämter oder US-amerikanische Sozialbehörden genügt, um empirisch feststellen zu können, wo die Grenzen der westlich-univeralistischen Anerkennungsfähigkeit als Mensch verlaufen. Die Fähigkeit, Rechtssubjekt zu sein, ist hier zwar noch nicht gänzlich eliminiert, weil diese Menschen weiterhin als abstrakte "Staatsbürger", "Wahlberechtigte" usw. geführt werden, und somit Mikro-Bestandteil des "Souveräns", des ideellen Gesamt-Subjekt-Objekts; aber diese Rechtsfähigkeit ist dennoch bereits reduziert, was sich am Umgang mit diesen minderen Wertsubjekten deutlich ablesen lässt; sie geraten immer mehr in den Status von Unmündigen, nicht mehr voll Zurechnungsfähigen, vn einer Art sprechender Tiere oder unbrauchbar gewordener sprechender "Werkzeuge", von "Wilden" oder Kindern, die mit "du" angeredet werden.

(Robert Kurz, Blutige Vernunft, 2004)

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