Saturday, April 19, 2008

"Arbeit" nochmal

Ich habe in der Diskussion (Kommentare) zum Eintrag "Arbeit") auf die Problematik nicht erst von "abstrakter" oder "entfremdeter" Arbeit, sondern des Arbeitsbegriffs überhaupt hingewiesen, da "Arbeit" nicht gleichbedeutend mit menschlichem Schaffen ist, sondern einen Begriff des kapitalistischen Systems (mit religiösen Wurzeln) darstellt. Es gibt hierzu einen wunderbaren Artikel von Robert Kurz (Die Diktatur der abstrakten Zeit). Hier heißt es u.a.:

So ist es kein Wunder, daß der Begriff der Arbeit in der Antike die metaphorische Nebenbedeutung von Leid und Unglück angenommen hat (etwa im Lateinischen). Es ist das Leid des Menschen, der in dem negativen Sinne tätig ist, daß er "unter einer Last schwankt" (laborare). Diese Last kann auch unsichtbar sein, weil sie in Wahrheit die soziale Last der Unselbständigkeit ist. Das ist auch letzten Endes gemeint, wenn im Alten Testament der Bibel die Arbeit als ein von Gott auferlegter Fluch des Menschen gedeutet wird. Die Gleichbedeutung von Leid und Arbeit meint nicht die bloße Anstrengung. Auch ein freier Mensch kann sich bei bestimmten Gelegenheiten anstrengen und sogar Lust dabei empfinden.

Und zu den bereits genannten religiösen Wurzeln:
Es war das Christentum, das zuerst die negative Bedeutung der Abstraktion "Arbeit" positiv umdefiniert hat - und zwar paradoxerweise gerade als Leid und Unglück! Weil nämlich das Leid Christi am Kreuz die Menschheit von ihren irdischen Sünden erlöst hat, verlangt der Glaube daran die "Nachfolge Christi". Und das bedeutet, das Leid freudig und freiwillig auf sich zu nehmen. In einer Art von Masochismus des Glaubens an das positive Leiden adelte also das Christentum auch die Arbeit zum geradezu erstrebenswerten Ziel, etwa in demselben Sinn, wie es gelegentlich üblich war, sich in frommer Extase selber zu geißeln. Die Mönche und Nonnen in den Klöstern unterwarfen sich bewußt und freiwillig der Abstraktion "Arbeit", um als "Knechte Gottes" ein Leben im Sinne des Leids von Christus zu führen. Mentalitätsgeschichtlich waren, und darauf ist oft hingewiesen worden, die klösterliche Zucht und Ordnung, also die strenge Einteilung des Tagesablaufs und die mönchische Askese, Vorläufer der späteren Fabrikdisziplin und der abstrakten "betriebswirtschaftlichen" Zeitrechnung. Aber diese spezifisch christliche Mission der Arbeit bezog sich nur auf die metaphorische Bedeutung des Begriffs als religiöse Akzeptanz des Leids mit Blick auf das Jenseits; es wurde damit noch kein positiver irdischer Zweck verfolgt.

Es war erst der Protestantismus, besonders in seiner calvinistischen Form, der seit dem 16. Jahrhundert den christlichen Masochismus des Arbeits-Leidens zum diesseitigen Gegenstand machte: Der gläubige Mensch sollte die Schmerzen der Arbeit als "Knecht Gottes" nun nicht mehr in klösterlicher Abgeschiedenheit auf sich nehmen, sondern damit in der profanen irdischen Welt Erfolg haben, und zwar gerade um seine Auserwähltheit durch Gott zu beweisen und zu demonstrieren! Natürlich durfte er aber die Früchte des Erfolgs auf keinen Fall genießen, um die göttliche Gnade in der Nachfolge Christi nicht zu verspielen; er mußte also das Ergebnis der Arbeit mit säuerlicher Leidensmiene zum Ausgangspunkt immer neuer Arbeit machen und unaufhörlich abstrakte Reichtümer ohne Genuß aufhäufen. In dieser seltsamen Verschränkung eines tristen jenseitigen mit einem ebenso tristen diesseitigen Zweck entstand die erst recht triste moderne Arbeitsmentalität - Arbeit als eine Art Verhaltensstörung.

Aber das genügt noch nicht als Erklärung des Siegeszug von Kapitalismus und Arbeit:
Damit die protestantische Verhaltensstörung ihren weltlichen Siegeszug antreten konnte, bedurfte es der Vermittlung mit mächtigen materiellen Interessen.
Auch Warentausch und Handel sind für sich genommen keine ausreichende Erklärung:
Lokalen Warentausch hatte es ebenso wie Fernhandel mit speziellen Waren (Salz, Seide, Erze, Waffen usw.) in mehr oder minder großem Umfang schon seit frühesten Zeiten in den "Nischen" der agrarischen Naturalwirtschaft gegeben, ohne daß daraus jemals ein die gesamte Gesellschaft erfassendes "warenproduzierendes System" (alias Kapitalismus) entstanden wäre, in dem dann die Arbeit ihre seltsame Karriere als nunmehr substantielle Realität für alle Menschen fortsetzen und krönen konnte.

Entscheidend war vielmehr eine bestimmte Erfindung:
Es war jedoch keine Produktivkraft, sondern im Gegenteil eine durchschlagende Destruktivkraft, die der Modernisierung den Weg gebahnt hat: nämlich die Erfindung der Feuerwaffen. Obwohl dieser Zusammenhang seit langem bekannt ist, blieb er doch in den berühmtesten und folgenreichsten Theorien der Modernisierung (den Marxismus eingeschlossen) völlig unterbelichtet.

Freilich wird dieser Umstand schamhaft verdrängt:
Aber diese Analysen haben nicht den großen Widerhall gefunden, den sie verdienen. Offensichtlich können die moderne westliche Welt und ihre Ideologen nur schwer die Einsicht akzeptieren, daß der letzte historische Grund ihres Systems in der Erfindung von perfektionierten Mordinstrumenten zu suchen ist. Und dieser Zusammenhang gilt nicht nur für die dunklen Ursprünge, sondern auch noch für die moderne Demokratie; denn die "militärische Revolution" ist bis heute ein heimlicher Beweggrund der Modernisierung geblieben.


Soviel für heute! Viele Grüße!

2 Comments:

At Sun Apr 20, 12:12:00 AM 2008, Blogger Phönix said...

Na, das war für mich das wohl passendste Wort zum Sonntag.

"Unter der Last schwanken"...
Ein schöner Begriff für einen Zustand, den früher so nicht begriffen hätte.

Lieber Gruß
von
Phönix, schwankend und verhaltensgestört
(Und wie komm ich aus der Nummer wieder raus?)

 
At Wed Apr 30, 10:29:00 PM 2008, Anonymous Anonymous said...

Hm. Das ist wohl harte und wahre Realität, da kann man schwer etwas gegen einwenden. Und doch wills mir nicht so recht gefallen.
Beim "ora et labora" stelle ich mir halt immer Bauern vor, die ihre Felder bestellen. Und diese Art von Arbeit ist zwar auch hart, aber hat doch wohl einen befriedigenden Endzustand. Nach getanem Werk, am Abend zufrieden, die verdiente Ruhe, der Stolz auf das bestellte Feld...
Aber die meisten waren wohl eher Leibeigene, die durch den Vergleich mit Jesu Leiden ihr Leiden als erträglicher empfinden konnten.
Was ist nun mit der Disziplin? Gehört die auch hierhin? Sind denn die, die Arbeit nur als Last empfinden, glücklicher als die Demütigen? Und sind die Demütigen wirklich nur Selbstbetrüger? Antworten habe ich nicht, aber der Darstellung, die du zitierst fehlt eine Komponente, das spür ich. Oder bin ich zu protestantisch erzogen?

BF

 

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