Thursday, February 28, 2008

Der Takt des Geldes

Das ist nun eine ganz eigenartige Sache. Daß unser Gefühl für Takt /Taktrhythmus nicht schon durch die menschliche Natur vorgegeben ist, dürfte ja keinem neu sein, der sich mit sehr alter Musik jemals beschäftigt hat. Bewußt ist es einem aber üblicherweise nicht. Vollends im Dunkeln liegen die wirklichen Gründe dafür, daß wir heute den Takt (betont - unbetont - betont - unbetont...) als normal und natürlich empfinden. Um diese Zusammenhänge geht es, und sie sind ebenso aufregend wie deprimierend, zeigen sie doch die Abhängigkeit der Kunst und des Kunstempfindens von etwas eher Schnödem wie dem Geld- und Warensystem. Eske Bockelmann hat dies in seinem Buch "Im Takt des Geldes" im Detail ausgeführt.

Claus Peter Ortlieb (Mathematiker) merkt in seiner Rezension dazu u.a. folgendes an:

Wie so Vieles, was das Aufklärungsdenken fälschlicherweise für "allgemein menschlich" hält oder sogar in der Biologie fundiert sieht, ist auch unser Rhythmus, der Takt-Rhythmus nämlich, historisch spezifisch. Er tritt erstmals zu Beginn des 17. Jahrhunderts und nur in Westeuropa auf, es gab ihn nirgendwo sonst als eben in der bürgerlichen Gesellschaft, er gehört zu ihr und nur zu ihr.
[...]
Dieser Wechsel des Rhythmusgefühls ist im Westeuropa des beginnenden 17. Jahrhunderts nahezu schlagartig erfolgt und lässt sich nicht auf Veränderungen in Musik und Poesie zurückführen, sondern ist umgekehrt deren Ursache. Bockelmann (S. 119) macht das beispielhaft fest an dem "Buch von der deutschen Poeterey" von Martin Opitz aus dem Jahre 1624, in dem dieser als erster die Forderung erhebt, Verse seien von nun an als Akzentverse, also nach dem Schema betont-unbetont zu dichten, weshalb Opitz selber seine bisherigen Verse als unzureichend empfindet und nach den neuen Regeln umschreibt. Offenbar wird zu dieser Zeit in den Subjekten ein Reflex implantiert, der uns seither zwingt, dem Taktrhythmus zu folgen und alles, was darin nicht aufgeht, als unrhythmisch zu empfinden, wie es Opitz seinen eigenen, älteren Versen gegenüber erging, die vor dem neuen Rhythmus nur noch als Knittelverse erscheinen.

Rezension Ortlieb

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