Monday, April 07, 2008

Schule - viel geht nicht mehr

Ich habe Claus Peter Ortlieb (Mathematikprofessor in Hamburg) bereits einmal zitiert. Hier ein aktuelles Zitat von ihm zum Thema Schule:

Dass Roland Koch mit seiner Kampagne im Wahlkampf schließlich keinerlei Erfolg hatte, sondern im Gegenteil Karriere knickende Stimmenverluste hinnehmen musste, dürfte nach allgemeiner Einschätzung damit zusammenhängen, dass er auf die falschen Ängste setzte. Die sich über das Gymnasium definierende deutsche Mittelschicht, deren Stimmen der CDU verloren gingen, hat andere: In einer selbst systemimmanent verrückten, allen lern- und entwicklungspsychologischen Erkenntnissen Hohn sprechenden Reaktion auf die alljährlichen „PISA-Schocks“ und die damit verbundene Konkurrenzangst wurde ihren Kindern das um ein Jahr verkürzte Gymnasium verordnet, bei gleich bleibenden Gesamtstundenzahlen und Stoffplänen. Die gleichen Lehrinhalte in weniger Zeit bzw., was dasselbe ist, mehr Lehrstoff pro Jahr oder Woche, verbunden womöglich mit einer Erhöhung von Klassenfrequenzen und Lehrerarbeitszeit, also mehr Schülern pro Lehrkraft: damit werden wir es den Finnen und Koreanern schon zeigen. „Billiger und besser“, dieses etwa von der Hamburger Schulsenatorin Alexandra Dinges-Dierig bei ihrem Amtsantritt verkündete Credo betriebswirtschaftlicher Effizienz soll auch das deutsche Schulsystem wieder auf Vordermann bringen.

Bloß funktioniert das nicht. Man könnte sagen: Dieser Versuch einer Durchorganisation des Gymnasiums nach den Grundsätzen des gewöhnlichen kapitalistischen Betriebs hat die Rechnung ohne die Wertabspaltung gemacht, die jeder Kapitalverwertung vorausgesetzt ist. Die von späterer gesellschaftlicher Überflüssigkeit bedrohten und mit einer aus Schulstunden und Hausaufgaben zusammengesetzten 40-50-stündigen Wochenarbeitszeit belasteten Kinder und Jugendlichen, denen jedes Refugium genommen ist, reagieren massenhaft mit Stress-Symptomen wie Magenbeschwerden, Kopfschmerzen und Schlafstörungen. Und die Mittelschichts-Familien, deren Funktion doch eigentlich darin besteht, für den Arbeitsstress dadurch wieder fit zu machen, dass er vor der Haustür bleibt, müssen ihn sich qua gemeinsamer Bewältigung der schulischen Anforderungen in die eigenen vier Wände holen.

Die darüber inzwischen auch in neoliberalen Organen wie dem SPIEGEL und der FAZ mehrfach vorgebrachte Klage über den „Diebstahl der Kindheit“ macht deutlich, dass systemimmanent nichts mehr geht: Einerseits resultiert die nur noch an betriebswirtschaftlichen Input-Output-Modellen orientierte Organisation des Bildungssystems aus der Angst vor dem Zurückfallen in der globalen kapitalistischen Konkurrenz. Auf der anderen Seite wird inzwischen die reale Gefahr gesehen, dass ebendieses System Absolventen hervorbringt, die – vom Burnout-Syndrom befallen, noch bevor sie es verlassen haben – als konkurrenzfähige Arbeitskräfte niemals zu gebrauchen sein werden.

Aus dem Editorial von EXIT! Heft 5 (Claus Peter Ortlieb)

1 Comments:

At Mon Apr 07, 11:43:00 PM 2008, Anonymous Anonymous said...

Wow, da haben wir ja den Deutschen mal was voraus. Hier läuft das schon seit Jahren so. Die einzigen, die hier wirklich von morgens bis nachts ran müssen, sind die Kids, die die Schule mit nem guten Schnitt absolvieren wollen. Griechenland auf dem Vormarsch, phantastisch. Europa sollte sich ein Beispiel an unserm Bildungssystem nehmen!!!
BF

 

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