Franz Josef Degenhardt (1931 - 2011)
Am 14. November 2011 starb Franz Josef Degenhardt. Das also war der Tag, vor dem ich mich seit 2003 gefürchtet hatte. Erst vor etwa neun Jahren nämlich hatte es bei mir "gezündet", seitdem betrachtete ich ihn als den Messi unter den Liedermachern.
Degenhardt hat den Tod oft besungen, und er hat sogar den Tod eines anderen großen Liedermachers/Chansonniers besungen, George
Brassens: "Komm, sing uns, wie's war, wie der Tod zu dir kam, den du dir vom Leibe gesungen hast", bat er ihn (au père eternel). Darum würde ich nun auch gern Degenhardt bitten, aber Robert Gernhardt hat ja auf die besondere Situation des Dichters hingewiesen, daß der nicht nur, wie jeder Mensch, irgendwann stirbt, sondern der Tod auch das einige Ereignis seines Lebens ist, worüber er nicht mehr berichten kann. Obwohl es - möglicherweise - besonders berichtenswert wäre.
Letzteres gilt für Degenhardt ganz besonders, war er doch ein Erzähler wie kein Zweiter. Ich bin ja kein Literaturkritiker oder Germanist, aber die Fähigkeit, Dinge mit einer Andeutung oder Geste auf den Punkt zu bringen, einerseits zu "fabulieren", andrerseits wieder den Blick fürs Wesentliche zu haben, war bei ihm nunmal in einem Maße gegeben, wie ich es sonst nicht gesehen habe.
Dabei drängt sich für mich der Eindruck auf, daß Degenhardt in einem ständigen, insgesamt wohl sehr fruchtbaren, inneren Widerstreit befand: Er hätte gerne poetische Texte geschrieben, über Natur und menschliche Schicksale, Freuden und Leiden, andrerseits schien er dies (in seiner "reinen" Form) für unzulässig zu erachten, angesichts des Misthaufens Kapitalismus, der einfach weg müsse. So dass der bekannte Schlachtruf "Zwischentöne sind nur Krampf im Klassenkampf" vielleicht doch auch ein Appell an sich selbst war? Nein, sich bloß nicht ans Lyrische verlieren. Vielleicht gehe ich da zu weit, jedenfalls taucht das Thema immer wieder auf, z.B. bei der Wallfahrt zum Big Zeppelin, wo die Schöngeister, die lieber ins Reich Beethovens abtauchen, ordentlich ihr Fett wegkriegen.
Obwohl ich selbst eher von der Romantik-Schiene komme und mir gelegentlich wünsche, Degenhardt hätte mehr "schöne Lieder", gefühlsbetont und versöhnlich, geschrieben, würde ich ihn doch nur halb so sehr schätzen, wenn er nicht auch diese politische und gesellschaftliche Reibungsfläche bieten würde. Bei seinem Sohn Kai Degenhardt ist die Rede von "Singen von Gott und der Welt und wie das alles zusammenhängt". Diese Zusammenhänge auseinander zu reißen, könnte auch künstlerisch nicht wirklich überzeugen. Umgekehrt ist es freilich auch bedenklich, der politischen Botschaft alles unterzuordnen, wie Degenhardt im bekannten Tolmein-Interview 1990 selbst eingeräumt hat:
"Viele der Aktivisten damals, zum Beispiel auch Dutschke, haben mir in Gesprächen über einzelne Lieder gesagt: "Da fehlt ein positiver Dreh, da muß noch eine optimistische Wendung her und so etwas wie Handlungsanweisung." Nun ja. Ich tat's manchmal, aber die Lieder sind dadurch natürlich nicht besser sondern schlechter geworden."
Ich könnte mir vorstellen, daß "Daß das nur solche Geschichten bleiben (die man den Enkeln erzählen kann" so ein Lied sein könnte.
Die Erzählung von Menschlichem in bestimmten gesellschaftlichem Umfeldern, Milieustudien wenn man so will, gehört zweifellos zu den bestechendsten Merkmalen der Degenhardtschen Kunst. "Onkel Richard" kommt einem in den Sinn, der schrullige ältere Herr, der in einer abgewrackten Fabrik wohnt und auf Außerirdische wartet, die mal den Betrieb übernehmen werden: Und dann sei er "denen ihr Mann".
Oder auch das allerletzte Lied auf der allerletzten CD: Dreizehnbogen. Die allgemeine Trostlosigkeit und wie Menschen sich durchwursteln mit ihren Marotten und Ängsten.
Eine weitere Stärke ist in politisch geprägten Liedern zu finden, die nichtsdestotrotz sehr poetische und liebevolle Züge haben, z.B. "Kommt an den Tisch unter Pflaumenbäumen", ebenso Tango du Midi und natürlich "Ein schönes Lied", das eine Sonderstellung einnimmt: Es wäre ein leichtes gewesen, ein "schönes Lied" zu ironisieren und in eine Sarkasmus-Orgie zu verwandeln, aber es ist ja bei allem darin enthaltenem Grauen und ohne dies zu verniedlichen immer noch in bestimmter Weise ein tatsächlich schönes Lied geblieben. Das ist eines der Stücke, wie sie kein anderer auch nur annähernd schreiben kann, ähnliches würde ich auch für "Der verlorene Sohn" behaupten. Wenn man dies mit der Betroffenheitshuberei anderer Liedermacher vergleicht...nein, sollte man lieber nicht tun.
Weitere herausragende Lieder, in denen schwierige politische Sachverhalte in hochpoetischen ja zeitweise geradezu zärtlichen Bildern ausgedrückt werden sind z.B. Hochzeit, (Vorstadt)feierabend (unglaubliche Idee, wie da einer zur Feierabendzeit mit der MP lauert) und das - nach meiner Erfahrung die meisten Menschen restlos überfordernde - "Von der letzten autonomen Selbstbestimmungsrepublik".
Aber auch die direkte Ansprache wie in "Vom Lesen Schreiben Machen" begeistert mich. Diese formale Perfektion und gleichzeitige Originalität kann einen doch nur umhauen. Wie Degenhardt in seinen letzten Jahren zu extremen Zeilen wie den Schluß vom Inka-Lied stand, würde mich durchaus interessieren:
"Die Yankee-Gier nach Gold und Blut,
die wird niemals satt,
Frieden kann erst sein in jedem Land,
wenn man sie getötet hat."
Hingegen war die Würdigung der RAF-Terroristen für mein Gefühl recht ausgewogen, die meisten würden sie ("Botschaft an eine Enkelin") als viel zu wohlwollend einstufen (vermute ich), Degenhardt selbst meinte dagegen, sich eher für seine Kritik rechtfertigen zu müssen; im schon genannten Tolmein-Interview sagte er, es sei immer problematisch, kämpfende Menschen vom Sofa aus zu kritisieren, aber er nehme es sich heraus, freilich nicht in der schnoddrigen Weise wie (z.B.) die taz es tue.
Im scharfen Kontrast dazu stehen einige Werke mit nur geringem oder gar keinem politischen Bezug wie "Sie kamen mit dem lauen Wind" über eine Radlerclique von jungen Leuten, die den Blick aufs eigene Altern noch wehmütiger machen, ebenfalls in wunderbar lyrischen Worten beschrieben. Oder der "Tanz im Freien" in einem noch etwas höheren Alter geschrieben (Ich hoffe es fällt nicht auf, daß ich schon über sechzig bin). Ich erinnere mich, daß eine Zeitung über dieses Lied sinngemäß schrieb: "Ohne eingemauerte Juden kommt er auch im 21. Jahrhundert nicht aus, aber bemerkenswert ist seine Selbstironie am Schluß." Da nämlich sagt seine jugendliche Tanzpartnerin über seine Erzählungen: "Nächstes Jahr komm ich nochmal, hast dann vielleicht wieder son paar Storys drauf, aus der Zeit von Asterix, na macht ja nix."
Ein wirklich "schönes Lied" ist auch "Treiben Gleiten Treiben", seine Sicht aufs Leben, Älterwerden, Tod in den Bildern eines Kahns, der ins Schilf treibt, bis die "Sonne ausgeht" und man "nach Hause kommt". Es ist hier durchaus etwas spürbar (glaube ich), das vor langer Zeit einmal in einer TV-Reportage über den marxistischen Philosophen Ernst Bloch zur Sprache kam. Er habe über seinen Tod den wenig marxistisch klingenden Satz gesagt: Ich weiß, daß ich erwartet werde.
Nach diesen Lobeshymnen könnte der Einwand kommen, hat der Altmeister nicht auch mal richtig danebengegriffen? Da fällt mir wenig ein. Das Einzige, das ich als relativ peinlich empfunden habe, war der Versuch, Ende der 80er die Lambada-Welle nach meinem Verständnis als ein antibürgerliches Auflehnen zu interpretieren.
Gibt es etwas Tröstliches, da er nun von uns gegangen ist? Nicht so wirklich, aber ein klein wenig erleichternd ist aus meiner Sicht:
Als ich 2003 "hängenblieb", war Degenhardt bereits gesundheitlich angeschlagen und ich rechnete mit dem Schlimmsten. Das trat damals zum Glück nicht ein, somit blieb eine gewisse "Vorbereitungszeit", um sich mit dem gräßlichen Gedanken vertraut zu machen, natürlich alles mit ganz vielen Anführungszeichen zu verstehen. Wenn es dann passiert, ist es doch immer anders.
Ich hab jedenfalls immerhin ein Konzert erleben dürfen, im Herbst 2003, da habe ich noch Glück gehabt, da es bald darauf aus Gesundheitsgründen keine Konzerte mehr gab. (Mich schmerzt nur, daß mir ein Auftritt wohl im Jahr 1987 im TV sehr gut gefallen hat, und ich trotzdem nicht drangeblieben bin).
Und schließlich denke ich, daß Degenhardt nicht mitten aus großen Projekten gerissen wurde. Verfehlt wäre es zwar auch zu behaupten, er habe alles gesagt gehabt und hätte sich nur noch wiederholt. Nein, ich denke, er hätte auch die nächsten zehn Jahre noch viel beisteuern können, zumal jetzt - vielleicht, womöglich? - tatsächlich gesellschaftliche Umbrüche konkret werden könnten?! Aber ich denke eben, das was er bis zu seinem Tod hat sagen wollen, hat er weitgehend auch noch sagen können.
Es gab wohl eine Phase, in der es eine Art Traum gewesen wäre, Degenhardt persönlich zu treffen. Z.B. dachte ich (völlig irre), wie es wäre, ihn am Grab von Ensslin, Baader, Raspe zu sehen, das ich im Jahr 2007 erstmals besucht habe. Mittlerweile denke ich nicht mehr, daß ein etwaiges Gespräch besonders ergiebig geworden wäre, zuviele Welten hätten uns getrennt. Jedenfalls gehört die Tatsache, daß es zu einer solchen Begegnung nicht kam, nicht zu den Punkten, die mich wehmütig stimmen würden. (Nicht undenkbar wäre allerdings, daß ihm die Idee gefallen hätte, daß ein "Fan" sich diese Begegnung am Terroristengrab ausdenkt.)
Bleibt die unbeantwortbare Frage, was hinter der schwarzen Tür ist, die nicht etwa aufgeht, sondern die er selbst öffnet:
"Ist die Feier dann zu Ende,
und sie kommt schließlich zu mir,
diese endgültige Wende,
öffne ich die schwarze Tür."
0 Comments:
Post a Comment
<< Home