"Herzzeit" - Briefwechsel I. Bachmann - P. Celan
Ingeborg Bachmann
Paul Celan
Herzzeit - Briefwechsel (2008)
Keine ausführliche Besprechung des Buchs, bloß einige Dinge, die auffielen...mich beeindruckten.
"Herzzeit" ist ein Titel, der falsche Erwartungen wecken könnte. Hier wird nicht 400 Seiten lang gesäuselt.
Am Anfang allerdings schon, beiden Hauptakteuren gelingen sehr poetische Zeilen. Bald aber beherrscht die Banalität des Lebens das Geschehen, z. B. das Ächzen Bachmanns über Arbeitsüberlastung, ihre Unterstützung Celans beim Bemühen um Veröffentlichung seiner Werke, und sehr viele gegenseitige Entschuldigungen der Art,
wie wir sie alle kennen: Ich wollte dir eigentlich längst schreiben, aber der Stress, du verstehst...
Weniger banal, aber auch fast jeder/m geläufig ist das gegenseitige Nichterfüllen von Erwartungen, worüber gesprochen werden solle. Also Bachmann schreibt, sie wolle was zum Kern hören, Celan schreibt allerlei, bitte aber um Verständnis dafür, daß er den Kern ausspart. Bachmann schreibt, gerade dazu hätte sie aber unbedingt was hören wollen ...
Gedichte werden aber lange danach noch verschickt bzw. sich gegenseitig gewidmet, u.a. Celans zeitloses "Allerseelen" mit der unsterblichen Zeile: ...wo der Puls den Gegentakt wagte.
Später, als die Liebesbeziehung schon lange einer Art Freundschaft gewichen war, gibt es deutliche Differenzen, die Bachmann zum Entschluß treiben: "Nach allem was geschehen ist, glaube ich daß es für uns kein Weiter mehr gibt. Es ist mir nicht mehr möglich." (Feb. 1960), der von Celan mit äußerstem Unverständnis beantwortet
wird: "Ich schreibe Dir in der Verzweiflung, und du hast kein Wort, kein Silbe für mich übrig..." usw. , "und eines Tages [...] bekomme ich von Dir einen Brief, in dem Du mir die Freundschaft aufkündigst. Schämst Du Dich nicht, Ingeborg?"
Im September 1961 schreibt sie schließlich: "Ich bin oft sehr bitter, wenn ich an Dich denke, und manchmal verzeihe ich mir nicht, daß ich Dich nicht hasse, für dieses Gedicht, diese Mordbeschuldigung, die Du geschrieben hast." Diese Worte hat Celan vermutlich nie zu lesen bekommen, denn Bachmann hat den Brief nicht abgeschickt. (Sie wollte ihn später bei einem Besuch mitbringen, aber das ist wohl nicht geschehen)
Auch Max Frisch, mit dem Bachman zu dieser Zeit liiert war, hatte ein Problem mit Celan. Es handelt sich um ein Thema, wie es wohl kein sensibleres gibt. Paul Celan hatte sich über "Hitlerei" beklagt; er hielt vor allem die Kritik von Herrn Bücker an seiner Todesfuge für antisemitisch. Max Frisch unternahm fünf vergebliche Versuche, Celan eine Entgegnung zu schreiben (bzw. auch abzuschicken). In seiner sechsten Version, die er auch verschickte, schritt er dann relativ unverblümt zu Werke:
"Sie [ = Celans öffentliche Antwort auf die Bücker-Kritik] zwingt mich (und ich verehre Sie ja freiwillig), Sie zu verehren, nämlich ohne Frage zu glauben, daß Sie, lieber Paul Celan, völlig frei sind von Regungen, die mich und andere heimsuchen, Regungen der Eitelkeit und des gekränkten Ehrgeizes. Denn sollte auch nur ein Funke davon in Ihrem Zorn sein, so wäre die Anrufung der Todeslager, scheint mir, unerlaubt und ungeheuer...."
"Das schreibt Max Frisch", empörte sich Celan an einem Brief an Bachmann. Dennoch kam es bei persönlichen Treffen zu einer Versöhnung. Wer aufgrund dieses Konflikts glaubt, Celan sei an oberflächlichen Lippenbekenntnissen interessiert gewesen, irrt. Er schreibt an anderer Stelle Zeilen, die aus heutiger Sicht durchaus verstörend wirken können, zu einer Heidegger-Festschrift: "Ich kann mir sagen, daß Heidegger vielleicht einiges eingesehen hat; ich sehe, wieviel Niedertracht in einem Andersch oder Böll steckt ..."
Echte Kriegsangst ist in Bachmanns Schreiben Ende der 50er-Jahre zu spüren. Sie war natürlich mit der Politik der damaligen Zeit nicht einverstanden, aber diese Angst ist persönlich greifbarer, ging über bloße politische Besorgnis merkbar hinaus.
Was Kritik an ihren jeweiligen Werken angeht (was ja auch bei den obigen Beispielen der Anlaß für Differenzen war), hielt Bachmann sich stets zugute, wesentlich souveräner als Celan zu (re)agieren. Auch hier wird kein Blatt vor den Mund genommen, allerdings gehören auch diese Zeilen zum Brief, der nicht abgesandt wurde.
"...weil ich die anonymen und anderen Papierfetzen wegwerfe, weil ich glaube, daß ich stärker bin als diese Fetzen, die nichts nichts besagen. Aber das willst Du ja nicht wahrhaben, daß es nichts besagt. Du willst, daß es stärker ist, Du willst Dich begraben lassen darunter. Das ist Dein Unglück, das ich für stärker halte als das Unglück, das Dir widerfährt. Du willst das Opfer sein, aber es liegt an Dir, es nicht zu sein..."
Welche Umstände hauptsächlich zu ihrem frühen Verfall beitrugen (sie hatte sich ja bereits vor dem Wohnungsbrand 1973 mit Tabletten zugrunde gerichtet), geht aus diesem Buch nicht hervor. Im allgemeinen wird von den Folgen medizinischer Fehlbehandlung gesprochen, aber auch das traumatische Ende ihrer Beziehung mit Max Frisch wird genannt. Ob es auch eine Rolle gespielt haben mag, daß Celan, für den sie sich 1967 noch einmal eingesetzt hatte, 1970 in die Seine ging, ist unklar. Gisèle Celan an Bachmann: "Er hat den namenlosesten und einsamsten Tod gewählt."
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