Evolution und die Geschlechter (Roughgarden 2)
Angenehm an Roughgarden ist, daß sie bei einigen wilden Geschichten (die sie wie alle diese Evolutionsbiologen parat hat), immer große Vorsicht walten läßt und keine ihrer Theorien als finale Wahrheit verkauft. Wie z.B. bei jenen zwei Typen Männchen in einer bestimmten Tierart, wo das kleine an abgelegenen Orten "tätig" ist, und vom Typ "großes Männchen", das sich als eine Art Heiratsvermittler betätigt, zuweilen zu den Weibchen geführt und diesen vorgestellt wird. Immerhin eine süße Story, die aber schon deutlich macht, daß auch im Tierreich die Verhältnisse oft komplex sein können, komplexer als sie scheinen.
Kommen wir zu den 26 Punkten, anhand derer R. die Unterschiede zwischen der sexuellen Selektionstheorie (des Darwinismus) und ihrer eigenen Theorie der sozialen oder "Gruppen"-Selektion festmacht. Ich beschränke mich natürlich auf einige wenige davon (ich lasse auch diejenigen weitgehend weg, die in Teil 1 schon erwähnt wurden).
Zunächst scheine ich richtig gelegen zu haben, was die Erklärung weiblicher Polygamie betrifft; es handelt sich laut R. nicht wirklich um eine solche, sondern sie spricht von "economic monogamy". Diese würde in Situationen auftauchen, wo die Aufzucht der Nachkommen am effizientesten in männlich-weiblichen Teams bewerkstelligt würde, anstatt von einzelnen Paaren. (Andere Biologen würden diese Fälle wohl als totale Polygamie beider Geschlechter betrachten?!)
Interessant die Hermaphroditen, die Männlein und Weiblein in einem sind. Bei den Pflanzen weitverbreitet, umfassen sie im Tierreich zwar nur 6%; allerdings, wenn man die vielen Spinnenarten rausrechnet (die keine Hermaphroditen sind), erhöht sich der Anteil auf ein beachtliches Drittel. Auch hier dreht R. den Spieß um: Anders als in der herkömmlichen Evolutionslehre hätten sich diese Lebewesen, die man ja als "Paare in einem Individuum" bezeichnen könnte, nicht erst spät in der Evolution entwickelt, sondern seien der Ausgangspunkt für die spätere Trennung der Geschlechter gewesen. Klingt einleuchtend (im Rahmen der Evolutionstheorie). Also zuerst asexuelle Fortpflanzung, dann beide Geschlechter in einem, dann beide Geschlechter getrennt als Paar, dann (zuweilen) "Paarteams" (u. männliche Promiskuität, wie gesagt, als letzte Zuflucht in bestimmten Phasen/Umständen).
Einflüsse auf Verhaltensweisen (behavior): Die sexuelle Selektionstheorie betrachtet Verhaltensweisen als genetische Prozesse auf einer "zwischen-Generationen"-Zeitskala. Die soziale Selektionstheorie betrachtet Verhaltensweisen als Folge von Entwicklungsschritten auf einer "innerhalb-einer-Generation"-Zeitskala. Beide stimmen überein, daß Verhalten auf Evolution beruht, aber während der sexuellen Selektionstheorie zufolge die Evolution direkt das soziale Verhalten steuert, betrachtet die soziale Selektionstheorie das soziale Verhalten als eine sich erst entwickelnde Neubildung aus bereits "evolvierten Ergebnissen" (?) ("evolved payoffs"). Schwierig, auch sprachlich, ich muß das entsprechende Kapitel noch genau lesen, weil es hier um einen Knackpunkt geht.
Männliche Gen-Qualität: Nach herkömmlicher Lehre gibt es bei Männchen eine nach genetischer Qualität gestaffelte Hierarchie. Nach sozialer Selektionstheorie gibt es eine solche Hierarchie nicht. Mit Ausnahme offensichtlicher "Defekte" (Mutationen) haben alle Männchen die gleiche genetische Qualität. Wenn kranke Männchen (oder vllt. auch Weibchen) nicht als Partner genommen werden, liegt es daran, daß sie ihre elterlichen "Pflichten" voraussichtlich nicht erfüllen können (auch ein krankes oder verletztes Tier kann genetisch völlig intakt sein).
Homosexualität: Nach herkömmlicher Lehre eher ein Ausrutscher, gibt verschiedene Theorien dazu. Nach sozialer Selektionstheorie ist Homosexualität natürlich und kann von beiden Geschlechtern und allen Beteiligten angenommen werden. Homosexualität ist häufig eine Art Bindemittel, wenn Teamarbeit gefragt ist. Bei einigen Affenarten geben Weibchen, wenn sie die Wahl haben, einem anderen Weibchen den Vorzug vor dem Männchen. Auch wenn es in einem "Team" zuwenige Männchen für irgendwelche Aufgaben gibt, sollen Weibchen verstärkt auf die sexuelle Verbindung untereinander zurückgreifen.
Sexueller Rollentausch: Nach herkömmlicher Lehre eine Ausnahme, die auftritt, wenn das Männchen das höhere elterliche Investment erbringt. Für R. steht diese Erklärung allerdings im Widerspruch zur traditionellen Prämisse, daß Männchen immer das kleinere Investment erbringen, da Spermien kleiner als Eier seien. Nach sozialer Selektionslehre ist der Tausch der Geschlechterrollen unproblematisch, da diese in der jeweiligen lokalen ökologischen Situation ohnehin immer verhandelt werden. Männchen haben im Sinne ihres Fortpflanzungserfolgs ein Interesse an der Sicherung der Eier, und können eben in bestimmten ökologischen und anderen Zusammenhängen in die Lage kommen, das höhere elterliche Investment zu leisten (bei Säugetieren also sicher ausgeschlossen).
Kommen wir zum Menschen. Huch, das sind ja wir :)
R. schreibt neben anstrengenden biologischen Ausführungen, die natürlich nicht zu vermeiden sind, doch auch (wo es möglich ist) recht lustig und pointiert. Z.B. zur Frage des menschlichen Gehirns:
Gemäß der sexuellen Selektionstheorie ist das menschliche Gehirn ein sekundäres Geschlechtsmerkmal, quasi das Gegenstück zum Pfauenschwanz, also ein Ornament um Frauen anzuziehen. "Das Problem besteht darin zu erklären, warum Frauen dann auch Gehirne haben" :) Die klassische Erklärung lautet natürlich, daß Frauen deshalb auch ein Gehirn haben, damit sie die männlichen Gehirne überhaupt würdigen können ;)
Nach der sozialen Selektionstheorie ist das Gehirn ein Werkzeug, um an der sozialen Infrastruktur teilnehmen zu können, in welcher die Kinder aufgezogen werden, und für eine erfolgreiche Aufzucht ist das Gehirn bei Männern und Frauen gleichermaßen notwendig.
Menschliche Attraktivität: Nach der sexuellen Selektionstheorie finden Frauen gutaussehende Männer anziehend, deren Merkmale auf gute genetische Qualität hinweisen. Männer seien natürlicherweise untreu (und wenig wählerisch). Nach der sozialen Selektionstheorie wählen Männer und Frauen einander gleichermaßen unter den Kriterien Kompatibilität der Lebensumstände, Charakter und Neigung, die einer effizienten Kinderaufzucht im Kontext einer menschlichen sozialen Infrastruktur zugrundeliegen.
Insgesamt klingt vieles wenig spektakulär, sondern ganz normal :)
Nur, von Evolutionsbiologen hört man Normales ja relativ selten...
Ich bin nicht von "allem" überzeugt, schätze aber die Vernunft, die man, ich sag´s nochmal, sonst in dieser Branche eher vergebens sucht. Als nächstes werde ich eine Feministin zu Wort kommen lassen, die wieder mehr die gesellschaftlichen Kräfte betont, was ich für richtig halte. Ganz egal wie Biologie tatsächlich ist, kann sie kein Modell für Gesellschaft sein. ABER: Man sollte aber schon auch (wie es R. tut) denjenigen Meinungen Paroli bieten, die falsche gesellschaftliche Entwicklungen in die Natur "hineinlegen", um sie dann wieder herausholen und als "natürlich" anzupreisen. Was einige Neo-Darwinisten vertreten, hat mit Natur nichts zu tun, sondern entspringt dem verdrehten Bewußtsein unserer "Negativ-Vergesellschaftung" (Robert Kurz), also Konkurrenz und Auslese um jeden Preis.
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