Arbeit (4)
Anselm Jappe (vorerst zum Letzten):
Am Ende seiner historischen Laufbahn ist das Schlimmste, das der Kapitalismus den Menschen antut, nicht mehr die Ausbeutung, sondern die Ausschließung. Sein Endstadium zeichnet sich nicht durch die Existenz eines immer ausgedehnteren und immer revolutionäreren Proletariats aus - schon deshalb, weil die Abnahme des variablen Kapitals, die Bedeutung der Lohnarbeit, und damit des klassischen Proletariats stark verringert hat. Das Endstadium zeichnet sich im Gegenteil durch den Mangel an Personen aus, die auszubeuten sich lohnen würde.
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Auch wenn sich viele noch weigern, die unerbittliche Logik zu verstehen, die zu einem so finsteren Zustand der Welt geführt hat, verbreitet sich doch die Empfindung, dass die kapitalistische Ökonomie die Menschheit vor große Probleme gestellt hat. Die erste Antwort darauf ist jedoch beinah immer die folgende: "Man muss zur Politik zurückkehren, um dem Markt Regeln aufzuerlegen. Man muss die von der Übermacht der Multinationalen und der Aktienmärkte bedrohte Demokratie wiederherstellen". Aber sind Politik und Demokratie wirklich das Gegenteil der verselbständigten Ökonomie, sind sie in der Lage, sie in ihre Schranken zu weisen?
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In der fetischistischen Warengesellschaft ist die Politik jedoch ein sekundäres Subsystem. Sie existiert, weil der Warentausch keine direkten gesellschaftlichen Beziehungen vorsieht und deshalb eine Sondersphäre vorsieht, in der die allgemein-gesellschaftlichen Interessen geregelt und vermittelt werden. Ohne politische Instanz würden die Marktsubjekte unmittelbar zu einem Krieg aller gegen alle übergehen, und selbstverständlich würde sich niemand um Infrastrukturen kümmern wollen. [...]
Der moderne Staat ist also ein Ergebnis der Warenlogik. Er ist die andere Seite der Ware: Staat und Ware sind miteinander verbunden wie zwei untrennbare Pole. Ihre Beziehungen haben sich mehrfach im Laufe der kapitalistischen Geschichte verändert, aber es wäre ein großer Irrtum, sich von der gegenwärtigen Polemik der Neoliberalen gegen den Staat (die im übrigen von ihrer Praxis dementiert wird, sobald sie am Steuer sitzen) zum Glauben verleiten zu lassen, das Kapital habe eine fundamentale Abneigung gegen den Staat. Trotzdem haben der Arbeiterbewegungsmarxismus und beinah die ganze Linke stets auf den Staat gesetzt, manchmal bis zum Delirium, und in ihm das Gegenteil des Kapitalismus sehen wollen. Die zeitgenössische Kritik am neoliberalen Kapitalismus beschwört oft eine "Rückkehr des Staates", der einseitig mit dem Wohlfahrtsstaat der keynesianischen Phase identifiziert wird. in Wirklichkeit hat der Kapitalismus sich während seiner Durchsetzungsphase (zwischen dem 15. und dem Ende des 18. Jahrhunderts) selbst massiv des Staats bedient, und das auch später dort getan, wo die kapitalistischen Kategorien noch ihrer Einführung harrten, nämlich in den "zurückgebliebenen" Ländern im Osten und Süden der Welt im 20. Jahrhundert. Außerdem greift er auf ihn stets und überall in Notzeiten zurück. Nur in den Phasen, in denen der Markt auf eigenen Füßen zu stehen scheint, würde das Kapital gern die faux frais reduzieren, die ein starker Staat bereitet.
Die Linke irrt sich sehr, wenn sie dem Staat souveräne Eingrifsmöglichkeiten zuschreibt. Erstens, weil die Politik mehr und mehr reine Wirtschaftspolitik ist. So wie in manchen vorkapitalistischen Gesellschaften alles religiös motiviert wurde, dreht sich jetz jede politische Diskussion um den Ökonomiefetisch. Seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs besteht der Unterschied zwischen der Rechten und der Linken hauptsächlich in ihren verschiedenen wirtschaftspolitischen Konzepten. Die Politik ist weit davon entfernt, der ökonomischen Sphäre äußerlich oder ihr überlegen zu sein, sondern sie bewegt sich vollkommen in deren Rahmen. Das ist nicht dem bösen Willen der politischen Akteure geschuldet, sondern beruht auf einem strukturellen Grund: Die Politik hat keine eigenen Eingriffsmittel. Sie muss sich stets des Geldes bedienen, und jede Entscheidung, die sie trifft, muss "finanziert" werden.[...] Die Staatsmacht funktioniert nur, solange sie es vermag, von gelungenen Verwertungsprozessen Geld abzuschöpfen. Wenn diese Prozesse erschlaffen, beschränkt und erstickt die Wirtschaft immer mehr den Handlungsspielraum der Politik. Es wird dann offenbar, dass die Politik in der Warengesellschaft in einem Abhängigkeitsverhältnis zur Ökonomie steht. Mit dem Verschwinden seiner Finanzmittel beschränkt sich der Staat auf die - immer repressivere - Armutsverwaltung. Am Ende laufen selbst die Soldaten weg, wenn sie nicht bezahlt werden, und die Streitkräfte werden zum Privateigentum der barbarisierten Reste des Staatsapparates, wie es bereits in vielen Ländern der Dritten Welt geschehen ist, aber auch im ehemaligen Jugoslawien.
Wir haben die Hauptelemente der Krise der Wertgesellschaft angegeben: Der Arbeitsgesellschaft geht die Arbeit aus und sie setzt ganze Länder außer Kurs. Der Nationalstaat als Regulationsmechanismus ist im Verschwinden begriffen. Die ökologische Krise bedeutet, dass zwecks Aufrechterhaltung der Wertschöpfung die ganze Welt in die Retorte der Verwertung geworfen wird. [...] Diese Probleme bleiben außerhalb der Reichweite der Politik, die deshalb anfängt leer zu laufen.
Anselm Jappe, Die Abenteuer der Ware (frz 2003, dt. 2005)
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