Arbeit!
Anselm Jappe:
Die Arbeiterbewegung ist stets der Repräsentant eines notwendigen Bestandteils der kapitalistischen Gesellschaft gewesen: der Lohnempfänger. Deren Interessen haben sich jedoch auf Dauer durchaus nicht unvereinbar mit der kapitalistischen Entwicklung erwiesen. [...] Wenn die Gewerkschaften "schmerzhafte" Umstrukturierungen akzeptieren, um die "Wettbewerbsfähigkeit" "ihres" Unternehmens aufrechtzuerhalten und "Arbeitsplätze" zu retten, dann "verraten" sie nicht ihre Mission, sondern bringen die Identität von Kapital und Lohnarbeit an den Tag, die bereits mit dem Wert gesetzt ist. Aber nur die Traditionsmarxisten können in diesem negativen Ende des Klassenkampfes das Ende eines jeden gesellschaftlichen Antagonismus und den Endsieg des Kapitalismus sehen. Das weitgehende Verschwinden des Industrieproletariats hat sowohl den Kapitalismus als auch den Traditionsmarxismus in Schwierigkeiten gebracht. Nunmehr ist der beiden gemeinsame Bezugsrahmen zerbrochen. Die wirkliche Krise des Kapitalismus ist bereits im Gange, aber die letzten Marxisten vermögen sie nicht zu erkennen, denn das Verschwinden des Proletariats bedeutet auch das Ende ihrer Bezugswelt.
Die Arbeiterbewegung und ihre marxistischen Theoretiker haben die protestantische Arbeitsethik noch übersteigert und den Gegensatz zwischen Arbeit und Nicht-Arbeit in den Mittelpunkt gestellt, als ob der Hauptgrund der Ausbeutung darin läge, dass die Kapitalisten nicht persönlich arbeiten. Diese Kritik war keineswegs eine Kritik der Arbeit, sondern eine Kritik vom Standpunkt der Arbeit aus, eine Kritik an den Nicht-Arbeitern. "Den Müßiggänger schiebt beiseite", heißt es in der Internationalen. Dass der Arbeit den "Wert" schafft, begründet dann seinen Anspruch darauf, die zukünftige Gesellschaft zu leiten, die ausschließlich auf Arbeit beruhen und ausschließlich aus Proletariern bestehen wird - als ob es noch Proletarier ohne Kapitalisten geben könne und als ob die Arbeiterexistenz so schön wäre, dass sie auf alle Menschen ausgedehnt werden müsse. Wenn nötig, setzen die Vertreter des Proletariats die Proletarier selbst an die Arbeit. Die beiden Hauptströmungen der Arbeiterbewegung sind würdig durch die wohlbekannte Figur Stakanows und durch den ersten sozialdemokratischen Präsidenten der Weimarer Republik, Friedrich Ebert, vertreten, der sagte: "Sozialismus bedeutet vor allem, viel zu arbeiten". Diese Tradition hält bis heute an: Vor einigen Jahren enthielten die Wahlplakate der SPD als einziges Versprechen: "Arbeit, Arbeit, Arbeit".
[...]
In den Ländern, wo die Arbeiterbewegung sich schrankenlos entfalten konnte, nahm deren Identifizierung mit der Arbeitsgesellschaft die Gestalt des Mythos vom "neuen Menschen" oder der "neuen Welt" an, der jede Rückkehr unmöglich machen und eine vollkommen an die Erfordernisse der - in diesem Fall "sozialistisch" genannten - Akkumulation angepasste Welt einrichten sollte. Wo ihr das nicht gelang, gab sie sich wenigstens Verwüstungsorgien hin, um den im Herzen der Ware eingeschriebenen Traum von einer Welt zu verwirklichen, in der nichts mehr an die mögliche Existenz einer anderen Welt erinnern würde. In dieser Hinsicht war die chinesische "Kulturrevolution" das konzentrierteste Resümee der kapitalistischen Geschichte, und in Pol Pots Kambodscha hat sich die Arbeitsgesellschaft in ihrer reinsten Form konzentriert. Die Verbrechen, welche die Apologeten des Kapitalismus am liebsten anführen, um jede Idee einer Alternative zur kapitalistischen Gesellschaft zu diskreditieren, enthüllen in Wirklichkeit die tiefsten Tendenzen eben dieser Gesellschaft. [...]
Das Ergebnis des gigantischen Wachstums der Produktionsmittel ist, dass immer mehr gearbeitet wird, statt weniger. Selbst nach der Einführung der Vierzigstundenwoche wird in den modernen Gesellschaften mehr gearbeitet, als es die Sklaven oder Leibeigenen von früher taten, für deren Ausbeutung das Tageslicht, die Jahreszeiten usw. eine Grenze darstellten - (...]. Dank der Produktivkraftentwicklung steht dem Individuum heute eine viel größere Menge an Konsumgegenständen zur Verfügung. Aber um sie zu erhalten, muss es einen immer größer werdenden Teil seines Lebens der Arbeit widmen. Und wenn es nicht die Arbeitsstunden sind, die zunehmen, dann die Intensität.
[...]
Unsere ganze Argumentation führt uns dazu, nicht nur die "abstrakte" Arbeit, sondern die Arbeit überhaupt in Frage zu stellen. Hier empört sich der "gesunde Menschenverstand": Wie soll man denn leben, ohne zu arbeiten? Aber nur wenn man "die Arbeit" mit dem Stoffwechsel der Natur gleichsetzt, kann man in der Arbeit eine überzeitliche und unaufhebbare Kategorie sehen, die dann aber eben nur eine Tautologie ist.[...]
Es wäre aber nicht richtig zu sagen, das Syntheseprinzip der modernen Gesellschaft sei die materielle Produktion als solche, denn wenn eine Produktion nicht "rentabel" im Sinne der Verwertung aufgehäufter toter Arbeit ("Wert") ist, wird sie aufgegeben. Allerdings funktioniert die Wertakkumulation nicht ohne ein ständiges Wachstum der Gebrauchsgüterproduktion. Deshalb ist der Kapitalismus die einzige Gesellschaft, die die materielle Produktivität zum höchsten Gut erklärt hat. Daher rührt der wohlbekannte "materialistische" Charakter der modernen Gesellschaft, der als isolierter Faktor genommen das bevorzugte Objekt jeder rein moralistischer Kritik an ihr ist. In Wirklichkeit ist es nur indirekt, mittels der Selbstverwertung des Werts, dass in der kapitalistischen Gesellschaft die Erfordernisse der materiellen Produktion über alle sozialen, ästhetischen, religiösen und ethischen Gesichtspunkte siegen, während in anderen Gesellschaften im Gegenteil die materielle Produktivität solchen Rücksichten geopfert werden.
Zitiert aus: Die Abenteuer der Ware, von Anselm Jappe (2003/2005).
7 Comments:
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So, jetzt noch mal ohne Tippfehler:
Ich bekam zunächst einen Schreck, denn oft musste ich Texte solcher Art lesen und es fällt mir nicht leicht, doch ist die Analyse gut, ich kann folgen und es für richtig erkennen.
mehr Litereatur!
mandy
Danke fürs Durchkämpfen! Es wird hier sicher noch alle möglichen Arten von Literatur geben, je nach Laune ;o)
Habe ja erst gestern gesehen, dass es hier ne Menge "Arbeit" gibt. Nun, den ersten Teil habe ich jetzt durch. Bei dem Ansatz fällt mir eine Parallele auf, und zwar zwischen Gesellschaft und Mensch an sich. So wie die gesamte Gesellschaft auf dem Materiellen basiert und das Leben aus eben diesem Blickwinkel beurteilt, so gehen wir auch mit unserem Körper um. Wir sehen sein "materielles" Wohlergehen, reparieren die materiellen Schäden, und verlieren vollkommen das Gleichgewicht. Der Gegenpol ist zu sehr aus dem Gesichtsfeld verschwunden, um überhaupt noch als solcher erkannt werden zu können, sowohl in der Gesellschaft als auch beim Individuum.
Nun noch eine Frage bzgl. des Begriffes Arbeit. Ich bin nicht sooo belesen, aber bezieht sich Marxens Kritik nicht auf die Entfremdung der Arbeit, und nicht auf Arbeit an sich bzw. die ungleiche Verteilung von Arbeit?
BF
Es geht diesen Leuten eben um die "warenproduzierende Gesellschaft" als Ganzes und die "Arbeit", die darin geleistet wird. Ist vielleicht auch ein bißchen Begriffshuberei, aber es wird darauf abgestellt, daß in vorkapitalistischen Zeiten niemand auf die Idee gekommen wäre, verschiedene notwendige Tätigkeiten die er so macht, in einen einzigen Begriff (wie Arbeit) zusammenzufassen. Anscheinend gibt es heute noch Völker, die kein Wort für "Arbeit" haben. Ich finde jetzt auf die Schnelle die Stelle nicht, aber angeblich geht das Wort "Arbeit" auf etwas zurück, was ein Abhängkeitsverhältnis o.ä. ausdrückt. Was Charly Marx angeht, so ist seine Kritik wohl (wenn Robert Kurz recht hat) nicht von einheitlicher Tiefe, d.h. er schwankt (wie ja eigentlich jeder) zwischen Tiefgründigerem und eher Vordergründigem.
Das ist im Griechischen interessant: Es gibt zwei Wörter. Das eher umgangssprachliche "δουλιά" kommt von "δούλος", was Knecht, Sklave heißt. Das andere "εργασία" von "έργο" (Ergo) und heißt so viel wie Werk, also etwas erschaffen. Marx Arbeitsbegriff dürfte wohl ganz und gar mit Doulia übereinstimmen.
BF
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