Saturday, February 16, 2008

Arbeit (2)

Amselm Jappe:

Paradoxerweise ist es aufgrund seines größten Erfolgs, nämlich der Entfesselung der Produktivkräfte, dass der Kapitalismus seine Grenze erreicht: Die individuelle Arbeitskrafverausgabung bildet immer weniger den Hauptproduktionsfaktor. [...]
Die tatsächliche Funktionsweise der Produktion sprengt demnach mehr und mehr die Wertlogik. Gerade das ist es, was Marx in seiner Prophezeiung in den Grundrissen als einen möglichen Ausgang der Warengesellschaft vorhergesehen hatte. Leider erleben wir, dass es sich nicht um eine friedliche und schrittweise Überwindung der Warengesellschaft handelt, die nur auf die politische Ebene übersetzt werden müßte, wie es sich gewissse Konzeptheckereien vorsehen, die sich auf diese Marxstellen beziehen, oder wie es diejenigen verkündigen, die, auch ohne alle Theorie, Einfälle wie die "Free Software" als die Überwindung des Kapitalismus beschreiben. Die Wertform besteht weiterhin, aber nicht, weil die herrschenden Klassen so entschieden haben, sondern weil es sich um eine nicht als solche von den Subjekten wahrgenommene fetischistische Form handelt. Die Warenform, auch wenn sie "objektiv" überholt ist, ist nicht etwa im Verschwinden begriffen, sondern gerät immer mehr in Kollision mit ihrem materiellen Inhalt, den sie mitgeschaffen hat.
Der Widerspruch zwischen diesem Inhalt und der Wertform führt zur Zerstörung von ersterem. Sie wird besonders sichtbar in der ökologischen Krise und stellt sich dann als "Produktivismus" dar, als "Wachstumszwang", als selbstzweckhafte Produktion von unnötigen Gebrauchsgütern - die allerdings nur die Folge der selbstzweckhaften Verwandlung von abstrakter Arbeit in Geld ist. Die Produktion als Selbstzweck bedeutet nicht den größtmöglichen Ausstoß von Gebrauchsgütern, als ob es sich um eine Art Gier nach etwas Konkretem handeln würde, wie es oft in der Argumentation der Ökologisten erscheint. Wir haben es hier nicht mit einem unbändigen Trieb zu tun, sich mit materiellem Reichtum zu umgeben oder die Welt zu verwandeln. Der für den gegenwärtigen Kapitalismus bezeichnende gigantische Raubbau an den Naturgrundlagen ist auch nicht bloß Folge der Notwendigkeit, eine enorm angewachsene Weltbevölkerung zu ernähren, wie die Neo-Malthusianer dem Publikum einreden wollen, noch ihrer "übertriebenen" Ansprüche. Es ist vielmehr das Ergebnis der tautologischen warengesellschaftlichen Logik. Sechs Milliarden Menschen könnten sogar viel besser leben als heute und trotzdem viel weniger produzieren und arbeiten als gegenwärtig.
[...]
Die fortschreitende Erstickung der Warenproduktion aufgrund der Zunahme der "faux frais" und der unproduktiven Arbeit sowie die daraus hervorgehende Verringerung der Profitmasse sind - auf der logischen Ebene - eine unvermeidbare Folge der Grundwidersprüche der Ware. Die historische Wirklichkeit hat diese logische Ableitung bestätigt. Zuerst, weil der klassische Kapitalismus, der sich durch den Goldstandard - die unbeschränkte Konvertibilität der Währungen in Gold -, ausgeglichene öffentliche Haushalte und die freie Konkurrenz ohne Staatseingriffe auszeichnete, mit dem Ersten Weltkrieg zu einem Ende gekommen ist. Seitdem befindet sich der Kapitalismus in einer permanenten Flucht nach vorne, und er kann nur weiter funktionieren, indem er seine eigenen Gesetze suspendiert. Das Zeitalter, das von 1920, und spätestens von 1945 bis ungefähr 1975 reicht, wird heute zu Recht als "Fordismus" bezeichnet. Ausgehend von der amerikanischen Automobilindustrie und den von Henry Ford und Frederick Taylor eingeführten Neuerungen (Fließband, "wissenschaftliche" Arbeitsorganisation) hatte sich ein neues sozio-ökonomisches System ausgebreitet, zuerst in den Vereinigten Staaten und dann, nach dem Zweiten Weltkrieg, auch in den anderen westlichen Ländern. Der Fordismus ging mit keynesianischen wirtschaftspolitischen Maßnahmen einher; die Ergebnisse waren die Massenproduktion halb-dauerhafter Güter zu niedrigen Preisen, hohe Löhne, Vollbeschäftigung, politische Demokratie, massive Staatsinvestionen in die Infrastrukturen und das soziale Netz. Das fordistische "Wirtschaftswunder" war aber nicht selbsttragend. Es war der Staat, der mit seinen, meist kreditfinanzierten, Investitionen die rapide Ausdehnung der unproduktiven Sektoren erlaubte - zum Beispiel durch den Autobahnbau, ohne den die Automobilisierung der Welt nicht möglich gewesen wäre. Das so induzierte allgemeine Wachstum hat ein Wachstum der produktiven Sektoren in absoluten Zahlen möglich gemacht, das ausreichte, um die relative Profitverringerung in jedem einzelnen Produkt zu kompensieren. Indem er die Welt bis zum Rand mit Waren anfüllte, vermochte der Fordismus es, um mehrere Jahrzehnte die stukturelle Krise des Kapitalismus aufzuschieben, die bereits in den zwanziger Jahren aufgetreten war, um mit der großen Krise von 1929 zu explodieren [*]. Um 1970-1975 hat sich der fordistisch-keynesianische Zyklus erschöpft, weil es unmöglich geworden war, die "Nebenkosten" zu finanzieren. Die Aufgabe des Goldstandards für den Dollar 1971 und die Rückkehr der Inflation in den westlichen Ländern waren die Anzeichen dafür.

[*] Erinnert sei in diesem Zusammenhang an den früher in diesem Blog zitierten Ausspruch des US-Ökonomen Galbraith: "Krieg, nicht etwa ökonomische Weisheit, bendete die Depression" (8. Aug. 2007).

Anselm Jappe, Die Abenteuer der Ware (2003/2005)

4 Comments:

At Sat Feb 16, 01:27:00 PM 2008, Blogger Phönix said...

Ich bin gespannt ob Mandy diesen zweiten Teil auch noch liest. :)
Ich hingegen habe einigermaßen kapituliert. Aber damit ich mir das nicht zur Gewohnheit wird, habe ich es mir mal kopiert, um es etappenweise und in größerer Schrift zu lesen. :))

Bis die Tage also

Phönix

 
At Thu Feb 21, 03:09:00 AM 2008, Blogger Kathrin said...

Sorry Jürgen, ich kapier rein gar nix, von dem, was Du da schreibst. Aber das macht ja nix, ich kann ja trotztdem mal nen Gruß da lassen... ;-))

 
At Thu Feb 21, 09:59:00 AM 2008, Blogger juerginskyi said...

Cool, Kathrin. Und - das beruhigt mich sehr, denn ich verstehe auch vieles nicht. Trotzdem werde ich demnächst einige "eigene Gedanken" zur Thematik absondern ;o)

Das will ja auch phönix immer haben, gell, phönix. Nicht bloß abschreiben :)))))

 
At Fri Mar 28, 02:16:00 AM 2008, Anonymous Anonymous said...

mir gings hier wohl so wie kathrin, aber ich hab mal ein wenig gegoogelt und bin aufs Original gestoßen. Und da muss ich die Kritik anbringen, dass deine Kürzungen zu stark vorgenommen wurden - zumindest für mich. Das mag dir nicht auffallen, da du wohl das gesamte Kapitel gelesen hast. Auch das ist noch schwer genug und bedarf intensiven Studiums, aber man kann sich doch ein Bild machen, von dem, was es mit dem Teufelskreis der Warengesellschaft auf sich hat.

BF

 

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