Saturday, May 02, 2009

Evolution und die Geschlechter (Roughgarden 1)

Ich habe micn nun noch etwas mit den Hypothesen von Prof. Joan Roughgarden (künftig: R.) beschäftigt, u.a. ihr brandneues Buch "Genial Gene" in Angriff genommen. Sie attackiert die Theorie der sexuellen Selektion, die sie durch den Begriff der "social selection" ersetzt. Umgangssprachlich könnte man den Begriff "sexual selection" zwar durchaus bestehen lassen (meine Meinung), da ja eine Auswahl bei der Fortpflanzung, beim Sex, getroffen wird, aber als Auswahlmechanismus im Rahmen der Evolutionstheorie kann er keinen Bestand haben, wenn R. richtig liegt. Eine fortpflanzungsmäßige Entscheidung zu treffen heißt nach R. NICHT, (instinktiv) "gute Gene" auszuwählen. Sondern es geht für das Weibchen/die Frau um das Erkennen eines "guten Vaters" (konkretes Verhalten versus abstrakte genetische Überlegenheit). Die grundsätzliche Richtigkeit der herkömmlichen "female choice" Theorie wird von R. nicht bestritten, da die weibliche Seite schon aufgrund der Schwangerschaft regelmäßig das größere Investment hat. Es gibt aber viele Modifizierungen und auch mal Rollentausch, dazu unten mehr.

Warum keine genetische sexuelle Selektion?
Sie argumentiert: Wenn es mal schlechte Gene gegeben hat/hätte, wären sie von den Weibchen in wenigen Generationen ausgerottet worden - von da an wären weitere Selektionsversuche dann sinnlos gewesen. Gestützt wird diese Auffassung mit etlichen Studien zur "Fitness" der Nachkommen von verschiedenen Vätern. Wenn ein Männchen lebt und sich paaren kann, warum sollte es dann Nachkommen hervorbringen, die eben diese Fähigkeiten nicht haben? Ich denke, daß diese Argumentation durchaus auch auf die "natürliche Auslese" angewandt werden kann. Diese gibt es natürlich, aber vermutlich doch nur im Rahmen einer Anpassung an veränderte Lebensbedingungen (dazu habe ich schon Tests gesehen: Wenn man die Umgebung künstlich verändert, so daß die Tarnung gegen Raubtiere nicht mehr greift, verändert das Beutetier sehr schnell seine Farbe, oder die Population geht eben unter). Aber: Eine ständige Auslese des Besseren, Allerbesten, höher, weiter, schneller, sind eher Merkmale des Kapitalismus, die man auf die Biologie übertragen hat (sage ich, nicht R.).

Üblicherweise wird gesagt, daß Männchen ursprünglich so gemacht seien, ihr Erbgut möglichst weit zu streuen, also total polygam, wenngleich mit sehr unterschiedlichem Erfolg (female choice der "besten Gene"). Im Laufe der Evolution habe sich dann bei einigen Arten eine gewisse Paarbindung entwickelt (bei vielen Vögeln und Menschen z.B.).

R. sieht das genau anders herum, was vermutlich revolutionär ist! Nebenbei wird dabei auch das Problem gelöst, das ich im letzten Evolutionseintrag angesprochen habe, nämlich wofür die vielen Männchen eigentlich gut sind (zumindest vor der Paarbindungstendenz). Sie betrachtet männliche Monogamie und männliche elterliche Fürsorge als Normalfall und Ausgangspunkt der Zweigeschlechtlichkeit. Männliche Untreue habe (rein biologisch gesehen natürlich) nur bei Säugetieren eine Bedeutung, weil das Männchen hier, anders als bei den Vögeln, während der Schwangerschaft und teilweise auch anschließend (Säugen) von einer Beteiligung ausgeschlossen wird. Es kann in dieser Zeit also nichts weiter zum Fortpflanzungserfolg beigetragen (und ist in dieser speziellen Situation tatsächlich rein fortpflanzungstechnisch gesehen mehr oder weniger überflüssig), und ist daher gezwungen (um seinen Fortpflanzungserfolg zu optimieren), auf dem "freien Markt" seine Chance zu suchen.

Letztgenannter Aspekt spielt allerdings eine umso geringere Rolle, je länger die Kinderaufzucht dauert und je länger die Lebenserwartung des Säugetiers ist. Beim Menschen mit seiner vergleichsweise langen Lebenserwartung und langer kindlichen Entwicklungszeit (und ich würde hinzufügen, der emotionalen menschlichen Beziehung, "Liebe"...) sind also "eingeschränkte Monogamie" und gemeinsame Kinderbetreuung als biologischer Normalfall anzusehen.

Die nicht selten zu beobachtenden weibliche Polygamie scheint allerdings zunächst weder in dieses Bild noch ins herkömmliche Bild des sehr wählerischen und treuen Weibchens zu passen. Nach der sexuellen Selektionstheorie gibt es durch die female choice bei den (angeblich polygamen) Männchen, je nach "Genqualität", ausgeprägte Gewinner (Begattung vieler Weibchen, ohne selbst in Schwangerschaft und Nachwuchsaufzucht zu investieren)und ausgeprägte Verlierer (die trotz vieler Bemühungen nur wenige oder keine Weibchen begatten). Populärwissenschaftliche Weisheit: Nur der Beste darf :)

Letzteres ist schon seit längerem mehr oder weniger überholt. Es gibt zuviele Studien, die zeigen, daß Weibchen oftmals sehr wenig wählerisch sind.
Eine andere Biologin, Meredith Small, schrieb schon vor 15 Jahren (Übersetzung von mir):
Es war ganz klar, daß Berberäffinnen entscheiden, mit wem sie sich paaren und wann; sie sind perfekte Beispiele für das sexuell selbstbewußte Primatenweibchen. Am Ende der Paarungszeit allerdings, 506 Kopulationen später, blieb ich etwas ratlos mit der Weisheit von der "female choice" zurück. Ja, diese Weibchen treffen eine Wahl, aber sie schienen jedes Männchen in der Gruppe zu wählen, eines nach dem anderen. [...]
An jenem Tag, als ich beobachtete, wie eine Berberäffin sich innerhalb von sechs Minuten mit drei verschiedenen Männchen paarte, wußte ich, daß ich das gängige Modell von "female choice" neu zu bewerten hatte.

(Small berichtet auch von anderen Affenarten, daß Weibchen 70% aller Annäherungsversuche machen, aber zu 40% sogar abgewiesen werden: Sie betont, daß female choice immer nur mit "male interaction" stattfindet.)
Ich habe noch nicht gefunden, wie R. das erklärt, aber aus der Gesamtdarstellung würde ich schließen, daß sie von der Erweiterung der Zweierbeziehung auf eine Gruppenbeziehung o.ä. ausgehen würde. Die Gruppe spielt bei ihr ja immer eine wichtige Rolle. Die Geschlechterbeziehungen werden immer "verhandelt" im Hinblick auf die Fortpflanzungsart, die natürliche Umgebung und die Gruppenbeziehungen der jeweiligen Tierart. Der Text wird zu lang, ich verschiebe die Zusammenfassung von Roughgardens Erkenntnissen auf den nächsten Eintrag. Bis dann.

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