Wednesday, October 08, 2008

Blutige Vernunft (4a)

In diesem Abschnitt geht es um die anfangs bereits angesprochene Frage, warum Aufklärungskritik so wenige Freunde hat.

Verschiedene Aspekte einer emanzipatorischen radikalen Kritik der Aufklärung sind zwar immer wieder aufgetaucht, aber nie konsequent zu Ende gedacht worden, meistens nur bruchstückhaft oder (wie bei Adorno)im entscheidenden Moment wieder auf die vom Wert gesetzte Subjektform zurückbiegend, das mißverstandene Ideal gegen die Wirklichkeit einklagend etc. Der Grund dafür läßt sich leicht erklären: Es ist die Tatsache, daß gegen Aufklärung und Moderne immer schon "Gegenaufklärung" und "Antimoderne" von einem rechten, reaktionären, elite-ideologischen, irrationalen, rassistisch-antisemitischen usw. Herrenmenschen-Standpunkt aus geltend gemacht werden. Das emanzipatorische Denken fällt also immer wieder auf die Aufklärung herein und auf deren Essentials zurück, weil es sich davor fürchtet, auf der "falschen Seite" zu landen oder entsprechend gedeutet zu werden. Wer will im Namen der Emanzipation schon "zurück ins finstere Mittelalter" (oder gleich in die Steinzeit), wer will schon Reaktionär geschimpft werden oder in den Geruch kommen, den westlichen Universalismus mit ethnischen "Differenzen" oder Rassenkunde und der abstrakten Individualität mit dumpfer Hordengemeinschaft begegnen zu wollen?

Genau diese Furcht verhindert stets den entscheidenden Durchbruch gegen die Aufklärungsideologie und stellt das kritische Denken still, sobald es diese Demarkationslinie der bürgerlichen Ontologie zu überschreiten droht. Es ist insoweit eine berechtigte Furcht, als die Motive konservativer Kulturkritik und eines reaktionären "Antikapitalismus" immer wieder als Interferenzen bis in die aufklärerische Linke hinein erscheinen; es gibt ideologische Wanderungsbewegungen von links nach rechts und umgekehrt, sodaß es zu den Evergreens innerlinker Polemik gehört, sich gegenseitig als Reaktionäre oder als bürgerliche Aufklärer zu denunzieren, ohne die gemeinsame Wurzel dieses Gegensatzes offen zu legen.

Robert Kurz, Blutige Vernunft (2004)

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