Thursday, February 21, 2008

Arbeit (3)

Nichts Neues, ich habe den Text jetzt bloß in 3 Häppchen statt in 2 aufgeteilt.

Anselm Jappe:

Diese Krise wurde ungemein verschärft durch die "mikroelektronische Revolution", die anders als frühere Umwälzungen in den Produktionstechniken kein neues Akkumulationsmodell mehr in Gang setzte, sondern von Anfang an enorme Mengen an Arbeit überflüssig, "unrentabel" machte. Im Unterschied zum Fordismus tut sie das mit einem solchen Rhythmus, dass keine Marktausdehnung mehr in der Lage ist, die Reduktion des in jeder Ware enthaltenen Arbeitsanteils zu kompensieren. Die Mikroelektronik zerschneidet entgültig den Zusammenhang zwischen der Produktivität und der im Wert dargestellten Verausgabung von abstrakter Arbeit. Sie setzt den "Teufelskreis" im Gang, den wir seit fast dreißig Jahren erleben. Um in einer Situation zu überleben, wo es selbst den Ast absägt, auf dem es sitzt - die Arbeit ,muss das kapitalistische System noch mehr als vorher nach Notbehelfen suchen, um momentan Zirkulation und Produktion in Übereinstimmung zu bringen. [...]
Diese Flucht geschieht mittels des fiktiven Kapitals, das heißt durch die Verselbständigung der Börsen und der Spekulation. [...]

Der Begriff des "fiktiven Kapitals" ist von Marx im dritten Band des Kapitals entwickelt worden, um das Kapital zu bezeichnen, das ausschließlich auf der Spekulation und dem Kredit, also auf der Erwartung zukünftiger Gewinne beruht; sobald die Einlösung dieser Versprechen auf die Zukunft in größerem Maße verlangt wird, muss die "Blase" platzen und reihenweise Bankrotte hervorrufen. Aber zu Marx´ Zeiten handelte es sich um eine Begleiterscheinung der realen Wirtschafskrisen. Die Finanzkräche hatten damals eine Bereinigungsfunktion und bereiteten jeweils einen Akkumulationsschub vor. Bis zum Ende des fordistischen Zyklus entsprach die Finanzspekulation mehr oder weniger dem Rhythmus und den Dimensionen der Realakkumulation.
Das hat sich tiefgreifend geändert, seit die Realakkumulation trotz aller Kredite zum Stillstand gekommen ist. Seither dient die Kreditaufnahme im wesentlichen dazu, eine schwindende Akkumulation zu substituieren und durch diese Simulation künstlich das Leben einer bereits toten Produktionsweise zu verlängern. [...] Mit dieser grotesken Verkehrung, die nicht einmal Marx hat voraussehen können, ist die reale Produktion zum Anhang des fiktiven Kapitals geworden. Die Schwindel erregenden Bewegungen an den Börsen seit 1987 haben nichts mehr mit den Konjunkturschwankungen der Reste der Realökonomie zu tun. Das fiktive Kapital ist sogar der eigentliche Wachstumsmotor geworden. [...]
... sind die überschnappenden Geldbewegungen nicht die Ursache, sondern die Folge der Störungen der Realökonomie. Diese würde nicht besser funktionieren, wenn man die spekulativen Exzesse abschaffen würde, wie es stirnrunzelnde Beobachter wie der humanitäre Spekulant George Soros oder die Zeitschrift Le Monde diplomatique predigen. In Wirklichkeit würde die Weltwirtschaft gar nicht mehr funktionieren, wenn man die Spekulationskrücken entfernen würde. Denn nach dem Platzen der Finanzblase wird man sehen, dass gerade sie es während einer gewissen Zeit verborgen hatte, dass die Wertakkumulation bereits an ihre historischen Grenzen gestoßen war. Natürlich muss das nicht das Ende der Produktion von Gebrauchsgütern bedeuten - unter der Bedingung allerdings, sie von der Wertproduktion abzukoppeln.

Es sind gerade die Erfolge des Werts, die letztlich zu seinem Untergang führen. Der Endsieg des Kapitalismus über seine vorkapitalistischen Reste ist auch seine endgültige Niederlage. Wenn der vollkommen entwickelte Kapitalismus "mit seinem Begriff übereinstimmt", bedeutet das nicht das Ende jeder Krisenmöglichkeit, sondern im Gegenteil den Beginn seiner wirklichen Krise und das Ende seiner historischen Laufbahn. Denn die Verwandlung von Arbeit in Wert hat es nötig, von zahlreichen anderen Aktivitäten umgeben zu sein, die ihrerseits nicht den Kriterien der Rentabilität und der Verwandlung in Wert gehorchen können oder bei denen die aufgewendete Arbeit nicht darstellbar ist. Die "faux frais" der Produktion machen nur einen Davon aus und zwar einen Teil, der noch zum "ökonomischen" Bereich gehört. Viel ausgedehnter, obwohl unkalkulierbar, sind alle für die gesellschaftliche Reproduktion unerläßlichen Tätigkeiten, die außerhalb der "ökonomischen" Sphäre stattfinden. Man kann von einer "dunklen Rückseite" der Verwertung sprechen, von einem enormen Schattenbereich, ohne den das Licht des als "Produktion" Geltenden nicht existieren würde. Der wichtigste Teil der nicht als "Arbeit" geltenden und deshalb nicht bezahlten Tätigkeiten wird von Frauen verrichtet. "Der Wert ist der Mann", besagt der Titel eines in der Zeitschrift Krisis Nr. 12 (1992) veröffentlichten Aufsatzes von Roswitha Scholz. Trotz seines abstrakten Charakters ist der Wert nicht "geschlechtsneutral", denn er beruht auf einer "Abspaltung": Alles, was Wert schöpfen kann, ist strukturell "männlich". Die Tätigkeiten, die nicht die Form abstrakter Arbeit annehmen können, und vor allem die Schaffung eines Schutzraums, wo der Arbeiter sich von seinen Mühen ausruhen kann, sind strukturell "weiblich" und werden nicht bezahlt.

(Die Abenteuer der Ware, 2003 frz, 2005 dt.)

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