Tuesday, October 23, 2012

Pussy Riot - Relativierungen, Aufrechnungen

Nachdem zwei der Frauen nun ins Straflager überstellt wurden (eine wurde ja freigelassen), auch von mir einige Gedanken zu diesem Fall, vor allem aber zu den Reaktionen dazu.

Die weltweite lautstarke Kritik an diesem Urteil ist völlig gerechtfertigt. Das Urteil ist schlicht maßlos. Es gab keine Toten, keine Verletzten, m.W. nicht einmal eine Sachbeschädigung. Die drei Punkerinnen setzen in Tat und Wort ausschließlich auf gewaltfreie Aktionen.

Viele linke Akteure hatten jedoch Probleme mit dieser internationalen Kritik. Man will lieber die USA am Pranger sehen als Russland. Zu hören war z.B., es sei alles eine Kampagne des Westens/der USA. Oder daß die Amis viel schlimmere Sachen machen, ohne sich entsprechende Kritik einzuhandeln. Das ging hin bis zu Theorien denen zufolge Pussy Riot ein Produkt des CIA sei, mit dem Ziel, Rußland nach entsprechender Reaktion als rückständig hinzustellen, quasi eine Falle.

Selbst wenn Letzteres zuträfe, wäre jedoch zu sagen: Noch lange kein Grund, in die Falle auch hineinzutappen. Das war eine Entscheidung der russischen Justiz (jeder glaubt zu wissen: von Putin gesteuert), und sie muß dafür, unabhängig von allen vermeintlichen oder tatsächlichen Hintergründen,  heftig kritisiert werden.

Gleichzeitig ist die Kritik an der Kritik aber richtig insofern als die USA tatsächlich keine geringeren Justizskandale haben, z.B. langjährige Haftstrafen für geringfügigen Marihuana-Konsum. Von Guantanamo Bay, wo man von vornherein auf die Anwendung von "Recht" verzichtet, ganz zu schweigen. Auch gibt es m.E. eine breit angelegte westliche Kampagne gegen Russland.

Es nützt alles nichts, das Urteil gegen Pussy Riot wird dadurch nicht richtiger. Wer glaubwürdig gegen den Westen, die USA, die EU, Imperialismus usw. zu Felde ziehen will, darf das russische Skandalurteil nicht aus der Kritik herausnehmen.

Noch schlimmer wird es, wenn die Rechtfertigung Rußlands mit verächtlichen Bemerkungen über die Pussy Riot Frauen gestützt werden soll. Bemerkenswert, wie dabei die unterdrückte Frauenfeindlichkeit von der Leine gelassen wird. Dazu, d.h. zu Sexismen und Diskriminierungen, wird es noch einen Text von mir geben...

Monday, October 01, 2012

Hans-Peter Dürr (Physiker)

So. Ich habe nun von H.P. Dürr einige Videos gesehen und Bücher gelesen. Faszinierend. Ist er nun Esoteriker oder, wie er selbst meint, Physiker und vielleicht noch Philosoph? Ich bin nicht sicher, ob man aus den Erkenntnissen der Quantentheorie auf eine nichtmaterielle Grundlage von Natur und Leben schließen kann. Anfällig bin ich für diese Denkweise allemal, aber das ist Privatsache ;o)

Dürr geht aber darüber hinaus und erklärt die Evolution, die Finanzkrise und was weiß ich, mit Hilfe der Quantenmechanik. Das, denke ich, geht nun wirklich zu weit. Bewußtsein ist zwar wichtig, ohne eine Änderung des Massenbewußtseins wird es eine grundlegende Veränderung von Gesellschaft und Welt nicht geben können. Aber dieses Bewußtsein muß auch die Erkenntnisse über die objektiven Systemgesetze des Kapitalismus mit einschließen. Diese muß man einfach lernen. Wenn Dürr meint, den Geldleute müßte man beibringen, daß es mit der Denkweise "Geld vermehren" nicht weitergehen kann, ist das doch reichlich naiv.

Das System Kapitalismus kann man aus allgemeinen Erwägungen heraus nicht verstehen. Genauso wenig wie jemand Schach oder Klavier spielen kann, nur weil er Quantenphysiker ist.

Vor einigen Jahren gab es heftige Kritik einiger meiner "EXIT!"-Freunde am Potsdamer Manifest (2005), an dem Dürr mitgewirkt hat. "Quantenquark" ist der Artikel überschrieben...Die dort enthaltene Kritik teile ich insoweit wie ich es gerade beschrieben habe. Wenn allerdings von Biologismus, Frauenfeindlichkeit und was weiß ich die Rede ist, schießen Ortlieb und Ulrich weit übers Ziel hinaus. Dürr ist gesellschaftlich keineswegs ganz unbewandert und stellt in einem Vortrag fest, daß die sog. Aufklärung ja Vernunft und Geist nicht für alle Menschen vorgesehen habe. Sondern nur für den männlichen, während die Frau keck der "Natur" zugerechnet wurde. Da ist Dürr doch sehr im Bilde, auch im Sinne der EXIT!schen Gesellschaftskritik.

Dem Vorwurf des Biologismus steht entgegen, daß Dürr ja das "Offene", Potentielle, Mögliche predigt. Also biologischen Determinismus doch klar ablehnt. Daß die aggressive westliche Kultur mit Lebensprinzipien nicht vereinbar ist, betrachte ich auch als legitime und richtige Auffassung, die nicht in die Schublade Naturalismus oder Biologismus paßt. Sie liegt für mich auf einer Ebene mit: Wer nicht ißt, verhungert. Oder mit dem bekannten Marx-Zitat: "Die kapitalistische Produktion entwickelt daher nur die Technik und Kombination des gesellschaftlichen Produktionsprozesses, indem sie zugleich die Springquellen alles Reichtums untergräbt: die Erde und den Arbeiter."

Folgerung für mich: Einprügeln auf Dürr ist fehl am Platz, aber dessen Grenzen kann und sollte man erkennen.